21/12/1999

21/12/1999

 

 

"Immer Überraschungen für mein Publikum"

 

Die spanische Sopranistin Montserrat Caballé gibt Donnerstag ein Weihnachtskonzert in der Lübecker MuK

Von Doris Blum

 

 

Die spanische Sopranistin Montserrat Caballé, 1933 in Barcelona geboren, feierte nach Anfängerjahren in Basel und Bremen 1965 ihren internationalen Durchbruch in New York, als sie in einer Aufführung von Gaetano Donizettis "Lucrezia Borgia" kurzfristig für Marilyn Horne einsprang. Ein Engagement an der berühmten Metropolitan Opera ließ nicht lange auf sich warten. Seitdem sang sie an allen großen Opernhäusern der Welt, ist eine der führenden Sopranistinnen und ganz gewiss eine der beliebtesten Sängerinnen überhaupt. Ihr Repertoire umfasst ungefähr neunzig Rollen. In den letzten zehn Jahren war sie weniger auf der Opernbühne anzutreffen, dafür häufiger bei Liederabenden und Galas im Konzertsaal zu erleben. Derzeit befindet sie sich auf einer großen Deutschland-Tournee. Heute um 20 Uhr wollte sie zu einer festlichen Opern- und Weihnachtsgala. ins CCH kommen. Nach Ihrem Kölner Konzert am Sonntag aber fühlte sie sich indisponiert und musste kurzfristig absagen. Sie will sich ein bisschen schonen, um wenigsten ihr Lübecker Konzert am 23. Dezember, 20 Uhr in der MuK geben zu können Ihr Hamburger Publikum wird das genauso bedauern wie sie selbst. WELT-Redakteurin Doris Blum sprach mit der Sängerin.

 

 

 

 

DIE WELT: Frau Caballé, Sie treten fast regelmäßig in Hamburg auf. Haben Sie zu der Stadt eine besondere Beziehung?

 

Montserrat Caballé: Ja, ich komme nun schon lange Jahre nach Hamburg. Und jedes Mal ist das eine große Freude für mich, vor allem deshalb, weil das Publikum mich hier so lieb hat. Das hat es mir noch jedes Mal gezeigt.

 

 

 

DIE WELT: Was haben Sie dieses Mal für Ihre Tournee im Gepäck?

 

Caballé: Zunächst mal habe ich einige junge Leute im Gepäck, zum Beispiel meine Tochter Montserrat Martí, die wieder mit mir singen wird. Dann den Tenor Oscar Marin und den Bariton Young-Joo Kim. Und singen werden wir Opernarien, Duette und Terzette. Und natürlich Weihnachtslieder. Und einige Lieder werden als Überraschung für mein Publikum auch dabei sein, die ich noch nie hier gesungen habe, richtige Neuheiten also.

 

 

 

DIE WELT: Vor dreieinhalb Jahren sind sie zum ersten Mal mit ihrer Tochter gemeinsam aufgetreten. Mussten Sie sich da zuerst dran gewöhnen, dass sie genauso stürmisch gefeiert wurde wie Sie?

 

Caballé: Überhaupt nicht. Wissen Sie denn nicht, dass ich während meiner langen Karriere viele junge Sänger gefördert und sie erst so richtig zum Erfolg gebracht habe? Darunter befinden sich zum Beispiel Placido Domingo, José Carreras und Luis Lima. Also, warum sollte ich nicht auch zum Erfolg meiner Tochter beisteuern?

 

 

 

DIE WELT: Man nennt Sie eine Diva zum Anfassen. Was bedeutet dieser Titel für Sie?

 

Caballé: Also Diva bedeutet mir überhaupt nichts. Damit kann ich nichts anfangen. Und zum Anfassen - ich denke, damit meint man, dass ich eine ganz normale Person bin, mit der man gut reden und auch einfach mal normal einen Kaffe trinken kann.

 

 

 

DIE WELT: Sie haben sich in den letzten Jahren sehr auf Lieder und Arienabende verlegt. Gibt es denn eine Opernpartie, die Sie überhaupt noch einmal reizen könnte?

 

Caballé: Ganz sicher. Ich trete ja noch in der Oper auf, aber nur noch zwei Mal pro Jahr oder drei Mal maximal. In dieser Saison stand ich in Jules Massenets Legende Sacrée "La Vierge" auf der Bühne. Die werde ich im April wieder in Rom singen. Außerdem bereite ich zwei neue Opernpartien vor, einmal die "Marie-Magdelein" in dem gleichnamigen szenischen Oratorium von Massenet und dann die Titelpartie "Marie Victoire" in Ottorino Respighis 1913 entstandener Oper, die noch nie aufgeführt worden ist. Das finde ich ganz toll, dass das zum ersten Mal jetzt geschieht. Die werde ich in Barcelona, aber auch in Italien und Frankreich singen. Und für die Saison 2001 / 2002 bereite ich die Titelpartie in Donizettis so gut wie unbekannter Oper "Maria Padilla" vor. Da werde ich mit meiner Tochter auftreten auf verschiedenen Bühnen Europas, wir haben schon zugesagt.

 

 

 

DIE WELT: Könnten Sie sich auch vorstellen, wieder einmal an der Hamburgischen Staatsoper zu singen?

 

Caballé: Ja, natürlich, das habe ich sogar vor. Für die nächste Saison unter Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher und Intendant Louwrens Langevoort hat man mir schon einen Vorschlag gemacht. Aber darüber werde ich erst sprechen, wenn wir uns einig sind in noch einigen offenen Punkten.

 

 

 

DIE WELT: Welche Sängerin unseres Jahrhunderts bewundern Sie am meisten?

 

Caballé: Ganz klare Sache: Maria Callas.

 

 

 

DIE WELT: Wie kommt es, dass Sie so wunderbar Deutsch sprechen?

 

Caballé: Na, so toll ist das nicht, aber danke schön. Das kommt wohl daher, dass ich als ganz junge Sängerin viele Jahre in Bremen engagiert war. Das war für mich gleichermaßen wichtig für die Sprache wie für meine künstlerische Arbeit.

 

 

 

DIE WELT: Was ist Ihre absolute Lieblingsrolle im Opernrepertoire?

 

Caballé: Salome von Richard Strauss, die habe ich von Anfang an am meisten geliebt, und die singe ich auch heute noch leidenschaftlich gern. Nicht mehr auf der Opernbühne, aber doch konzertant.

 

 

 





15/05/1999 – Heilbronner Stimme

15/05/1999 – Heilbronner Stimme

 

 

Warum Montserrat Caballé kaum zum Kochen kommt und Freddie Mercury doch nicht Bariton sang

 

 

Zum Frühstück eine alte Platte im Radio

 

 

Seit 1965 für Montserrat Caballé der internationale Durchbruch kam, als ei in New York ohne Probe für Marilyn Horne in Donizettis „Lucrezia Borgia“ einsprang, müssen die Fans von Maria Callas ihre Monogramme nicht mehr ändern. Wie allen Welt-Sopranistinnen blieb auch der pfundigen Primadonna der Vergleich mit der Göttlichen nicht erspart. 1933 in Barcelona geboren, gilt sie als eine der brillantesten Belcanto-Sängerinnen und war mit ihrem außergewöhnlich vielseitigen Repertoire an allen großen Opernhäusern der Welt zu Gast. Ans Aufhören denkt die spanische Legende trotz vieler Krankheiten nicht. Am 27. August tritt sie mit ihrer Tochter Montserrat Martí in einem von der Heilbronnen Stimme präsentierten Classic Open Air im Wertwiesenpark auf. Zurzeit weilt die Caballé im Haus ihrer Eltern in Barcelona. Mit der unkomplizierten Diva plauderte Claudia Ihlefeld am Telefon.

 

 

 

Señora Caballé, ein Tag ohne Musik, gibt es so etwas für sie?

 

Montserrat Caballé: Niemals. Wenn ich nicht singe, höre ich Musik, erarbeite Musik, übe. Heute Morgen beim Frühstück haben wir im Radio eine alte Platte von Mario del Monaco gehört, dem berühmten Tenor. Sehr schön.

 

 

 

Als Siebenjährige sangen sie schon Bachkantaten, früh wurde ihre Begabung entdeckt und gefördert.

 

Ich habe keine Begabung, ich habe es von meinen Eltern, die immer Musik hörten und uns ins Konzert mitnahmen.

 

 

 

Ihr erstes Engagement führte sie 1956 nach Basel. Wie war das, eine junge Spanierin in der Schweiz?

 

Schwer. Vor allem wegen der Sprache.

Ich konnte ein wenig Italienisch und Französisch. Aber Schwyzerdütsch…Zum Glück sprechen in der deutschsprachigen Schweiz viele mehrere Sprachen. Ich habe viel am Theater gearbeitet, um neue Rollen zu studieren und mein Repertoire zu erweitern. Das war eine gute Schule. Später in Bremen wurde am Theater zwar oft Englisch gesprochen, ich habe aber dann doch recht viel Deutsch gelernt. Mit Fehlern vielleicht, aber immerhin Deutsch.

 

 

 

Muß eine Primadonna üben? Oder eher ihre Stimme schonen?

 

Wir Menschen sind faul. Und so müssen wir immer im Training bleiben. Ich mache morgens eine halbe Stunde Atemgymnastik. Excercise, you know? Zwei bis drei Stunden bin ich dann täglich beschäftigt, Musik zu suchen. Zu vergleichen. Am Nachmittag übe ich. 30 bis 45 Minuten etwa. Die Stimme muß in Bewegung bleiben.

 

 

 

Dem wirklich breiten Publikum sind sie durch ihre Zusammenarbeit mit dem Queen-Sänger Freddie Mercury bekannt und der Olympiahymne Barcelona von 1992. Mit verschiedenen Rockgrößen haben sie 4 Jahre später die Platte „Caballé and friends“ gemacht. Berührungsängste sind ihre Sache nicht?

 

Als sich Freddie damals ans Piano gesetzt hat und anfing, zu komponieren, war ich ehrlich überrascht, was für ein exzellent musikalischer Mensch er war. Er hatte eine klassische Ausbildung. Warum singen sie nicht als Bariton, habe ich ihn gefragt. Das würden mir meine Fans nie verzeihen, hat er geantwortet. Ein sehr seriöser und konzentrierter Musiker, die Zusammenarbeit war eine Freude und ein Glück. Ich würde es wieder machen, auch wenn das mit meiner Karriere vom musikalischen point of view nichts zu tun hat.

 

 

 

Berührungsängste haben sie auch nicht in der Provinz.

 

Ich habe immer schon in kleineren Städten gesungen. Sicher ist es wunderbar, in einem großen Haus aufzutreten. Aber Musik ist für alle da. Man muß sein, wo die Menschen sind, nicht jeder kann überall hinfahren.

 

 

 

Haben sie nicht schon mal ans Aufhören gedacht?

 

Wenn die Zeit kommt, denke ich daran. Zuerst suche ich noch die Musik, die zu mir paßt. Es gibt viel Unbekanntes von bekannten Komponisten. Dafür habe ich auch meine Leute. Die Traviata singe ich nicht mehr. Ein Repertoire muß sich ändern, 1000 Mal dasselbe ist langweilig.

 

 

 

Ihre große Leidenschaft?

 

Meine Familie. Das ist das Schönste und Beste. Wenn es irgendwie geht, sind wir, mein Mann, meine Tochter und mein Sohn zusammen.

 

 

 

Seit einigen Jahren sind sie Vegetarierin, auf Anraten ihres Arztes. Kochen sie selbst?

 

Sehr selten. Wenn ich mal eine Woche Ferien mache in meinem Haus in Andorra. Übrigens, am liebsten mag ich Reissalat mit ganz kleinen Zwiebeln, Tomaten und frischen Oliven.

 

 

 

Sonst noch eine Schwäche?

 

Ich male gerne, obwohl ich es gar nicht kann. Und ich liebe die Impressionisten, Picassos blaue Phase. Und Dalí.





1/1999 (Jan

1/1999 (Jan./Feb.) – SCALA – von Jürgen Kesting

 

 

Die letzte Primadonna

 

 

Maria Callas nannte sie einst ihre würdige Nachfolgerin. Die spanische Sopranistin Montserrat Caballé zählt zu den größten Sängerinnen unseres Jahrhunderts.

 

 

Für die Erinnerung hat die Zeit keine Bedeutung. Wenn eine Primadonna Abschied nimmt, mit einem letzten und einem allerletzten Konzert, schließlich mit dem endgültig letzten – fällt der verklärende Glanz der Erinnerung über alle Wehmut. Mit nobler Nachsicht notierte denn auch der Schriftsteller George Bernard Shaw über die zehn Jahre lang Abschied feiernde Adelina Patti: „Time has transposed her a minor third.“ Eine Umschreibung des unabwendbaren biologischen Schicksals: Die Stimme der Primadonna war im Verlauf von vier Jahrzehnten um eine kleine Terz gesunken.

 

Montserrat Caballé füllt die Suite im Berliner „Westin Grand Hotel“ mit Perlenketten des Lachens. „Ich stehe jetzt seit 42 Jahren auf der Bühne“, sagt die spanische Diva, „und es ist nur natürlich, daß man bei der Auswahl der Musik darauf achten muß, innerhalb seiner persönlichen Grenzen zu bleiben. Ich habe in meiner Laufbahn 102 Rollen gesungen. Es kamen ständig neue hinzu und Wechsel in ein weiteres Fach; irgendwann muß man klug genug sein, sich auf das zu konzentrieren, was man noch gut singen kann.“ Ist das hohe C irgendwann plötzlich weg? Und wie kündigt sich das an? „Nein“, erwidert sie, „man hat es noch, aber (glucksendes Lachen) es klingt einfach nicht mehr gut.“

 

Sie hat sich – „auch das können sie als ‚Transposition’ ansehen“ – vor zehn Jahren nach einer Kette von Erkrankungen und Eingriffen von der Opernbühne zurückgezogen. 1969 wurden sie am Knie operiert, 1974 mußte ein Krebstumor entfernt werden, 1976 und 1982 erfolgten Nieren-Operationen, 1983 erlitt sie eine Herzattacke. Sie komme sich, hat sie gesagt, wie Phoenix vor – jener mythische Vogel, der verbrennt und aus der Asche aufersteht.

 

Da sie aber seit Beginn ihrer Karriere regelmäßig Liederabende gegeben hatte, war der Wechsel aufs Podium „für das Publikum nichts Neues und für mich kein Problem“. Erleichtert wurde er durch die breiten Brücken des Crossover, über die sie – etwa in Barcelona mit Rock-Sänger Freddie Mercury – oft gegangen ist. Das Repertoire, sagt sie, „ist unerschöpflich, man muß sich nur das aussuchen, was man gut serviert. Wenn man nicht länger die großen Arien von Verdi singen kann, muß man eben Cherubini singen. Oder Händel. Was erhalten bleiben muß, ist das ‚Smalto’.“ Damit ist der Klang der Stimme gemeint, die emailleglatte Lasur. Bei ihrer aktuellen Tournee hat sie es mit aller und alter Kunstfertigkeit vermieden, „den Gang über jene Brücke zu gehen, wo der Klang nicht mehr schön ist“. Und wenn sie auf der begleitenden neuen CD – „With All My Heart“ (von ganzem Herzen) – eine Vokalise auf die Schwanen-Melodie aus Camille Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ singt oder die Arie der Gabriella Di Vergy aus Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper, so beweist sie, daß sie mehr hat bewahren können als nur „schöneren Reste ihrer Stimme“ (George Bernard Shaw über Adelina Patti). In der elegischen Donizetti-Arie singt sie sogar einen Triller, der einst nicht zu ihrem technischen Arsenal gehörte.

 

Sie betont, daß es der schwere Beginn war, der ihr die spätere Laufbahn erleichtert hat. Jeweils drei Jahre hat sie an kleineren Theatern verbracht, in Basel unter der Ägide des Dirigenten Silvio Varviso, in Bremen unter der von Gerd Albrecht. Es waren Dirigenten, „die auf die Sänger aufgepaßt haben. Ich hatte Chrysothemis und Salomé gesungen. Als mir auch die Elektra angeboten wurde, hat Albrecht zu mir gesagt: ‚Bitte, machen sie das nicht, sie sind eine wunderbare Chrysothemis, und sie werden möglicherweise in zehn Jahren eine Elektra sein.’ Das war ein guter Rat. Ich war ein lyrischer Sopran, vielleicht mit dem dramatischen Akzent der spanischen Gesangsschule, wie es seit Manuel Garcia gelehrt wir.“

 

Daß die Gesangspädagogin Blanche Marchesi einst an Richard Strauss geschrieben hatte, sie rate allen ihren Schülerinnen von seiner Musik ab, bis er „endlich für die menschliche Stimme“ schreibe, entlockt ihr erneut eine Lachkaskade: „Ich liebe die Rollen von Strauss. Ich habe mit seinen Liedern begonnen, und ich bedauere, daß mir seit Mitte der 60er Jahre seine Opernrollen immer seltener angeboten worden sind. Mit Mozart und Strauss habe ich begonnen.“ Die Ansicht der Marchesi sei nur aus der damaligen Zeit und Ästhetik zu verstehen und daraus, daß die Sängerinnen sich noch nicht an die Strauss’sche Verschmelzung von Stimme und Orchester gewöhnt hatten. „Es hat immer einige Zeit gebraucht, bevor Sänger ihre Technik einem neuen musikalischen Stil angepaßt haben.“

 

Für sie sei der Beginn mit Mozart und Strauss ideal gewesen. Über 400mal hat sie allein die Elvira in „Don Giovanni“ gesungen. Mitte der 50er Jahre war sie, wie die ein Jahr jüngere Marilyn Horne („die größte, die einzige Rossini-Sängerin unserer Zeit“), eine Ensemble-Sängerin, die all das singen mußte, was auf den Spielplan kam – auch Rollen, mit denen sie dem Publikum einen „schlechten Service“ bot. In Basel hat sie als Mimì debütiert (17. November 1956), dann kamen Pamina und Nedda, Chrysothemis und Donna Elvira. Nie folgte sie der ahnungslos-anmaßenden Idee, erst die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, bevor sie sich an anderen orientierte. „Wie kann man Meister werden, ohne von Meistern zu lernen?“

 

Gerade ihre endlos ausgesponnenen Pianissimi waren das Ergebnis einer produktiven Anverwandlung durch härteste Arbeit: „reines Training mit tiefer Zwerchfellatmung“. Die Anregung hatte sie durch die Plattensammlung ihres Vaters bekommen. Darin fanden sich viele Aufnahmen des Tenors Miguel Fleta, dessen Filature – endlos ausgesponnene Endnoten – sie tief beeindruckten (Zu hören auf Preisser 89002). Für sie wurde es „zu einer wahren Obsession“, ähnliche Phrasierungen zu bilden und Ton-Fontänen zu fluten; ihre Lehrerin Eugenia Kémény, hatte ihr immer wieder gepredigt, daß die Stimme nicht auf dem Atem sitzen darf, sondern auf ihm fluten muß.

 

Während des Studiums hatte sie Renata Tebaldi gehört und das Gefühl gehabt,: „Sie singt ihre Pianissimi wie Miguel Fleta.“ Als die Tebaldi nach Barcelona kam, um Manon, Traviata, Tosca und Aida zu singen, war sie hingerissen von den „großen Bögen und der Klangentfaltung“. Allen Platten von Rosa Ponselle, die sie auftreiben konnte, hat sie staunend und hingerissen gelauscht. Sie hat „das exquisite Timbre“ ihrer spanischen Kollegin Victoria De Los Angeles bewundert, „sie war unvergleichlich im französischen Fach, als Manon, als Marguerite und als Carmen, obwohl sie gar nicht die Stimme für Carmen hatte.“ 1957 erlebte Montserrat Caballé die in Basel gastierende Elisabeth Grümmer, die sie bis dahin nur von Platten kannte. Die Maßstäbe setzten Elisabeth Schwarzkopf, sie sie 1969 in Barcelona als Marschallin genoß, und Lisa Della Casa als Arabella.

 

Frau Caballé gerät ins Schwärmen und komponiert jene vollkommene Stimme, die es nie gegeben hat. Eine Stimme mit „der dunklen Farbe der De Los Angeles, mit der stählernen Kraft der Nilsson, der Bravour der Sutherland“. Ob sie da nicht viel zu viel verlange? „Es ist erlaubt (perlendes Lachen), alles zu träumen – und vieles zu versuchen.“

 

Und was war mit Maria Callas, die in der Spanierin ihre einzige Nachfolgerin gesehen hat? „Die erste Aufnahme, die ich von ihr gehört habe, war Lucia. Ich habe ihr zwei, drei, viel Mal gelauscht und mochte nicht glauben, was ich vernahm. Von all den anderen konnte ich das eine oder andere technische Detail lernen. Was ich von Maria Callas lernen konnte, war die Wahrheit des Ausdrucks; nicht das Suchen nach Ausdruck, sondern Ausdruck zu haben.“

 

Es war im Jahre 1965, daß sie die Terra Incognita betrat, die von Maria Callas neu entdeckt worden war: die Welt der romantischen Belcanto-Oper. Während sie in Barcelona eine Aufführung von Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“ einstudierte, wurde sie gebeten, nach New York zu kommen und die Titelpartie in Gaetano Donizettis „Lucrezia Borgia“ zu übernehmen. Sie sollte Marilyn Horne ersetzen, die damals ein Kind erwartete. „Als ich die Laufpassagen sah, habe ich nicht geglaubt, das jemals singen zu können.“ Dem Dirigenten Carlo Felice Cillario, mit dem sie seinerzeit die Puccini-Oper einstudierte, erklärte sie mutlos: „Ich habe nicht diese Technik.“ Er bat sie daraufhin, „Come Scoglio“ zu interpretieren, die Arie der Fiordiligi aus Mozarts „Così Fan Tutte“. Und während sie die langen triolischen Laufpassagen am Ende der barock-prunkvollen Arie sang, meinte der Dirigent: „Siehst du, daß du das singen kannst!“

 

Also ist sie nach New York gegangen und hat (ein glucksendes Lachen) „Donizettis Koloraturen gesungen wie die von Mozart. Man hat mich als Belcanto-Spezialistin bezeichnet, es war wie ein Schock für mich, ich hatte mich ja auf ein völlig fremdes Terrain begeben.“ Aber sie war angekommen. Noch im selben Jahr nahm sie die Rolle, mit der sie den Status des Stars erreicht hatte, unter Jonel Perlea auf – mit Shirley Verrett als Orsini und Alfredo Kraus als Gennaro. Trotz vereinzelter Unsicherheiten in der Fioritura – ihre superben Pianissimi waren eine Sensation, und die Verträge prasselten fortan auf sie nieder. Sie sang Imogene in „Il Pirata“ (1966), Violetta in „La Traviata“ (1967), Salomé (1968) und das Verdi-Requiem (1969); legte Recitals mit Raritäten von Rossini, Donizetti und Verdi vor, die enthusiastisch gefeiert wurden.

 

In den folgenden Jahren sang sie viele zentrale Partien von Mozart, Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi, Puccini, Boito, Leoncavallo und Mascagni. Leider wurden einige Aufnahmen so rasch produziert, daß man „das Messer zu hören glaubte, mit dem die Partituren während der Arbeit im Studio aufgeschnitten wurden“. Nun gibt s in dieser Welt, schrieb Oscar Wilde, „nur zwei Tragödien. Die eine ist, nicht zu bekommen, was man möchte, die andere liegt darin, es zu bekommen.“

 

Der Traum von zwei großen Rollen hat sich für Montserrat Caballé nicht erfüllt. Sie hätte allzu gern die Leonore in Beethovens „Fidelio“ gesungen und die Elektra von Richard Strauss. Zugleich weiß sie, daß ihr dadurch ein größeres Unglück erspart geblieben ist: „Diese Partien sind zu dramatisch für mich.“ Von zwei bereits zugesagten Rollen ist sie auf Rat von Maria Callas, die sie 1970 zum ersten Mal getroffen hat, zurückgetreten. Zu Beginn der 70er Jahre wurde ihr die Abigaille in „Nabucco“ angeboten – eine hybride Partie insofern, als sie die Agilität einer Bellini-Heroine und die Energie einer Wagner-Brünnhilde verlangt. „Das wäre so“, hat ihr die Callas gesagt, vielleicht eingedenk selbst begangener Fehler, „als würde man Baccarat-Glas in einem Mixer schütteln. Es würde brechen.“ Auch an die Lady Macbeth, die sie an der „Scala“ singen sollte, hat sie sich, wieder von Maria Callas gewarnt, nicht gewagt.

 

Hingegen hat sie mit Butterfly und Turandot, von vielen ihrer Kolleginnen als „Killer-Partien“ gefürchtet, „wenig Probleme gehabt“. Auch hier, betont sie, muß die Stimme „nach der klassischen Technik geflutet werden – Forcieren wäre tödlich“. Daß man einen Fehler gemacht hat, merke man immer erst dann, wenn man die Folgen spürt. Riccardo Muti war auf die Idee verfallen, die Santuzza nicht einem dunklen, brustigen Sopran zu übertragen, sondern einer jugendlicheren Stimme. Sie hat sich von dieser Idee verleiten lassen, aber schon bei den Proben festgestellt, „daß ich das nicht singen sollte. Es war in Philadelphia, und ich hatte einen Vertrag, also mußte ich’s machen. Aber ich habe gemerkt, daß ich dem Publikum keinen guten Dienst erwiesen habe.“

 

Wer die spanische Diva je im Theater gehört hat, weiß, daß gerade ihre Pianissimi weithin tragen, daß sie, wie auf einem fliegenden Teppich, in die höchsten Ränge hinaufschweben. „Wer keine richtige Technik hat“, sagt sie, „kann nur mezzoforte und forte singen. Und wer eine richtige und vollständige Technik hat, kann alles singen – er ist in der Lage, seine Technik mit der Manier oder dem Stil des Komponisten zusammenzuführen. Doch wer den Stil eines Komponisten erfaßt, kann, sofern die Technik stimmt, alles singen. Die einzigen Grenzen, die es gibt, sind die physischen.“

 

Eine Rolle, die ihr Schwierigkeiten bereitet hat, war die Leonora in Giuseppe Verdis „La Forza Del Destino“. Der zweite und vor allem der dritte Akt verlangen eine mächtige Klangentfaltung, um über das Orchester hinwegzukommen. Zehn, zwölf Minuten müsse die Stimme der Leonore so etwas wie eine „Klangsäule“ errichten. „Das war ein Kampf. Ich habe genau abwägen und arbeiten müssen, um den Klang zu halten.“ Hat sie sich mit einigen der frühen Verdi-Partien – mit den Titelrollen in „Giovanna D’Arco“ oder in „Luisa Miller“ – leichter getan? „Leicht? Die Komponisten haben es uns nie leicht gemacht.“

 

Die temperamentvolle Spanierin wurde mit dem Satz zitiert, daß sie Luciano Pavarotti für den größten Tenor der Welt halte – und daß Plácido Domingo der größte Tenor der Welt sein könne, wenn er wolle. José Carreras, den sie zu Beginn seiner Karriere in den frühen 70er Jahren gefördert hat, sei ein großer Tenor. Mit allen dreien hat sie auf der Bühne gestanden, und die beste Abstimmung und Mischung des Klangs mit Domingo erreicht. „Vielleicht war es eine Frage der Herkunft, der Schule, der Technik, der Attacke. Wenn wir die Duette in Aida, in Mefistofele oder in Bohème gesungen haben, bekam das wirklich eine eigene Farbe.“ Wie Vino Di Rioja? Sie freut sich über den Vergleich. „Ja, ja“. Natürlich hat sie auch erlebt, daß sich ihre Stimme nicht mit der eines Partners mischen wollte – zum Beispiel mit Alfredo Kraus in Bellinis „I Puritani“ unter Muti.

 

Anders als viele Kolleginnen, die älter werden und nicht klüger, ist sie weise, witzig und selbstironisch. Fernsehauftritte bei TV-Supernase Thomas Gottschalk in „Wetten, daß?“ sind ihr keine Pflicht, sondern ein sichtliches Vergnügen. Von ihrem Handicap, das sich auf jeder Waage ablesen läßt, spricht sie selbst ungeniert. 103 Kilo wiege sie, und sie wisse, daß es nicht gerade leicht sei, ihr „eine an Schwindsucht sterbende Violetta abzunehmen“. Dem hält sie entgegen, daß die Handlung auf der Bühne durch den Gesang geprägt wird. „Schon Maria Callas sagte: ‚Im Klang müssen die Worte und das Drama spürbar werden.’ “

 

Mit Wehmut registriert die 65jährige aber, daß „heute nicht mehr die großen Persönlichkeiten im Mittelpunkt einer Aufführung stehen“. Es gebe nicht mehr den Scarpia von Tito Gobbi, nicht mehr die Norma von Maria Callas, sondern von…“. Sie hält inne und überlegt…“sondern von Regisseur X. Verdi, Puccini oder Wagner existieren nicht mehr.“ Die Klage über die Welt ist immer die Klage derer, die Abschied nehmen.