06/07 1996 – FIFTY

06/07 1996 – FIFTY

 

 

Montserrat Caballé

 

 

Meine Pasta ist besser als die von Pavarotti

 

Sie wird gern mit Maria Callas verglichen, die noch immer als die größte Operndiva aller Zeiten gilt. Dabei ist die spanische Sopranistin Montserrat Caballé längst selbst eine Legende – und das zu Lebzeiten. Im Gespräch mit FIFTY erzählt die stattliche Sängerin, was sie am liebsten kocht, wie sie reagiert, wenn jemand sie wegen ihrer Leibesfülle kritisiert und natürlich, warum Musik für sie die wichtigste Sache der Welt ist.

 

 

 

Sie sprudelt über vor Geschichten, lacht über ganze zwei Oktaven und empfindet tiefe Dankbarkeit für das große Glück, das ihr, dem einfachen Mädchen aus Barcelona, ermöglichte, die größte Opernsängerin der Welt zu werden. Montserrat Caballé, heute 63 Jahre alt, wurde bereits als Achtjährige von ihren Eltern auf ein Konservatorium geschickt, nachdem sie ihnen zu Weihnachten eine Arie aus „Madame Butterfly“ vorgesungen hatte. Dort erkannte man ihre Begabung und förderte sie mit einem Stipendium. Später unterstützte eine wohlhabende Familie aus Barcelona das Talent der jungen Sängerin. Nach verschiedenen Engagements in Spanien, der Schweiz und Deutschland – wo sie die deutsche Sprache erlernte – gelang ihr 1965 der große Durchbruch in der New Yorker Carnegie Hall. Seither ist sie in allen großen Opernhäusern und Konzertsälen der Welt zu Hause. Ihr unvergessenes Duett mit dem 1991 verstorbenen Sänger Freddie Mercury verschaffte der Operndiva auch in der Popszene Sympathie und Respekt. Montserrat Caballé hat ein gesundes Selbstbewußtsein – auch, was ihre stattliche Figur betrifft. Nicht einmal Herbert von Karajan konnte sie dazu bewegen, abzunehmen. Die Künstlerin versteht es, altmodische Begriffe wie Ehre, Bescheidenheit und Pflichtbewußtsein mit Leben zu füllen. Zu jedem Stichwort hat sie eine passende Geschichte aus ihrem abwechslungsreichen Leben parat. Kurz vor dem Start ihrer Deutschland-Tournee, die am 18. Juni in Lübeck begann, besuchte FIFTY-Reporterin Emanuela Wilm Montserrat Caballé in ihrem Stadthaus in Barcelona.

 

 

 

Frau Caballé, gibt es Momente, in denen sie Angst davor haben, nicht mehr singen zu können?

 

Natürlich. Doch dann denke ich an all die Partien, die ich noch singen möchte. Ich lasse mir auch die Rollen, die ich gesungen habe, immer wieder durch den Kopf gehen. Und dann weiß ich: Ich werde weitersingen. Wissen sie, ich habe Momente erlebt, da vergaß ich, daß ich auf der Bühne stand. Ich war in einer anderen Welt, in einer anderen Dimension. Es gab nur noch die Musik und mich. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, sondern schwebte in der Musik.

 

 

 

Sie spürten ihren Körper nicht mehr? Geht das?

 

Kaum zu glauben bei meinem Gewicht, nicht wahr? Aber wenn Orchester und Sänger miteinander harmonieren, und die Stimmung rundherum zur Musik paßt, dann kann man schon in eine Art Ekstase geraten. Ich habe einmal die „Norma“ von Bellini im Amphitheater von Orange gesungen. Das Bühnenbild, die Kulisse, der Himmel – alles paßte genau zu den Gefühlen, die Norma in ihrer Arie besang. Und dann wehte noch ein leichter Wind. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Selbst die Zuschauer waren völlig mitgerissen. Ich wurde erst durch den Applaus wieder in die Realität zurückgeholt. Das war, als ob mir ein schwerer Felsbrocken vor die Füße fallen würde.

 

 

 

Sie gelten als die Sängerin mit den außergewöhnlichsten Pianissimi und der besten Gesangs- und Atemtechnik. Ist so etwas angeboren oder kann man das erlernen?

 

Ach, ich kann mit solchen Superlativen nicht viel anfangen. Ich kann ihnen jedoch versichern, meine Pianissimi sind das Ergebnis sorgfältigen Übens. Ich bin darauf gestoßen, als ich die italienische Sopranistin Renata Tebaldi im Theater und später eine Plattenaufnahme des spanischen Tenors Miguel Fleta hörte. Beide sangen wunderschöne Pianissimi, und ich fragte mich, wie sie das schafften. Dann merkte ich bei  meinen Übungen, daß ich bei einem Piano nur genau das Gegenteil machen mußte wie bei einem Forte. Wenn ich also für ein Forte einatme und den Atem mit Muskeln unter dem Zwerchfell stütze, dann muß ich für ein Piano die tief eingeatmete Luft bewegungslos halten. In dieser Leere schwebt dann der Ton leicht und leise. Ich bin leider keine gute Pädagogin, aber ich hoffe, sie verstehen, was ich meine.

 

 

 

Ihre Stimme rührt viele Menschen zu Tränen…

 

Ich glaube, das bin gar nicht ich, sondern das ist der Komponist. Er hat schließlich die Musik geschrieben. Ich gebe sie nur wieder. Bei einem schlechten Stück kann ich noch so schön singen, es wird die Menschen nicht rühren. Aber auch bei einem guten Stück wird es einem Sänger nicht immer gelingen, das, was der Komponist mit der Musik ausdrücken will, ergreifend zu vermitteln. Denn Musik ist Teamarbeit. Nur wenn alle der Musik auf die gleiche Art und Weise dienen wollen, nur wenn Dirigent, Orchester und Sänger vollkommen übereinstimmen, dann erzeugen sie eine Stimmung, bei der das Publikum den Tränen nahe ist oder eine Gänsehaut bekommt.

 

 

 

Haben sie ein regelmäßiges Übungsprogramm?

 

O ja. Ich stehe jeden Morgen um sieben Uhr auf, mache eine halbe Stunde Atemübungen und meistens noch etwas Yoga. Dann gehe ich unter die Dusche und bereite das Frühstück vor. Von halb zehn bis ein Uhr studiere ich Partituren, bespreche Termine und was sonst noch so anfällt. Dann bereite ich das Mittagessen vor. Und von vier bis acht Uhr mache ich verschiedene Gesangsübungen und singe das, was ich mir am Vormittag in der Partitur erarbeitet habe.

 

 

 

Kochen sie jeden Mittag?

 

Nur wenn ich Zeit habe. Außerdem ißt meine Familie oft etwas anderes. Ich bin ja Vegetarierin. Manchmal ißt sie aber auch, was ich koche. Meine Pasta zum Beispiel. Ich verrate ihnen was: Sie ist besser als die von Pavarotti. Er würde mich lynchen, wenn er das hört!

 

 

 

Hatten sie wegen ihrer Figur niemals Schwierigkeiten, Rollen zu bekommen, die sie gern singen wollten?

 

Doch, das hatte ich. 1967 bot mir Herbert von Karajan die Rolle der Donna Elvira in „Don Giovanni“ an und forderte mich auf, nach München zum Vorsingen zu kommen. Da wir beide damals an der MET gastierten, schlug ich ihm vor, das Vorsingen doch in New York stattfinden zu lassen. Karajan war einverstanden. Das Vorsingen lief gut, aber er bestand auf einer weiteren Probe in München – und zwar vor einer Kamera. Er wollte die Aufführung nämlich aufzeichnen und hatte Sorge, daß ich für die Kamera zu kräftig gebaut sei. Wir machten die Probeaufnahmen schließlich ebenfalls in New York. Karajan beharrte jedoch darauf, daß ich abnehmen sollte. Daraufhin verzichtete ich auf meinen Auftritt in Salzburg und schrieb ihm. Daß ich nicht daran dächte, für ihn auch nur ein einziges Kilo abzunehmen.

 

 

 

Aber sie haben später doch unter Karajan gesungen?

 

Ja, das Verdi-Requiem einige Jahre später in Salzburg. Ich hatte Karajan nach seiner Einladung zwar geschrieben, daß ich in den letzten Jahren nochmals 12 Kilo zugenommen hätte, doch er meinte nur: Das sei in Ordnung, beim Verdi-Requiem würde ich ja in Schwarz auftreten.

 

 

 

Sie sind 63 Jahre alt und haben 36 Jahre Bühnenpräsenz hinter sich. Denken sie manchmal ans Aufhören?

 

Finden sie, ich sollte? Ich dachte, meine Stimme klingt noch ganz gut. Aber Spaß beiseite. Natürlich singe ich heute nicht mehr die „Traviata“ oder „Tosca“. Dafür ist meine Stimme zu dunkel geworden. Ich gebe ja in erster Linie Konzerte, obwohl ich in diesem Jahr noch ein Rollendebüt plane.

 

 

 

Sie haben doch über 120 Rollen im Repertoire. Gibt es tatsächlich noch eine Rolle, die sie nicht gesungen haben?

 

Es ist sogar eine ganz bekannte Rolle, nämlich die „Elektra“. Es ist die einzige Frauenpartie von Richard Strauss, die ich noch nicht gesungen habe. Dabei liebe ich Strauss. Er ist für mich der letzte Romantiker unter den Komponisten. Die „Salomé“ zum Beispiel ist eine meiner Lieblingsrollen: Mit ihr habe ich 1959 in Wien debütiert und wurde dafür sogar mit dem „Goldenen Lorbeerkranz“ für die beste Strauss-Interpretation ausgezeichnet. Das war damals eine große Ehre für mich. Und mit der „Ariadne auf Naxos“ habe ich eine der peinlichsten Szenen meiner Opernkarriere erlebt. Ich sang die „Ariadne“ in New York. Und als ich nach Zerbinettas großer Arie „Großmächtige Prinzessin“ von der Bühne gehen wollte, stand sie auf meinem Kleid. Um ihr das klarzumachen, rief ich: Zerbinetta, warum frisierst du mich nicht? Doch statt von meiner Schleppe zu gehen, griff sie in meine Haare. Im selben Augenblick stand ich auf. Sie hatte nicht nur meine Perücke in der Hand, sondern mir rutschte auch noch das Kostüm herunter. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: „Caballé macht Striptease an der MET“.

 

 

 

Sie haben einige schwere Krankheiten durchstehen müssen: Nierenoperationen, zwei Tumore, einen Herzanfall – und standen immer wieder auf der Bühne. Woher nehmen sie diese Kraft?

 

Ich will das Publikum nicht enttäuschen. Manchmal bin ich sogar aufgetreten, obwohl ich krank war. Im März 1974 zum Beispiel hatte man bei mir einen Tumor im Unterleib festgestellt. Ich wollte aber meine Verpflichtungen noch bis zur Sommerpause erfüllen. Die Ärzte gaben grünes Licht, und so wurde ich erst im September operiert. Bis dahin war der Tumor zweieinhalb Mal so groß geworden. Ein andermal hatte ich mir in London die Kniescheibe gebrochen. Kurz danach stand mein Debüt in der Arena di Verona an als Elisabeth von Valois in „Don Carlos“. Ich wollte unbedingt auftreten. Die Festivalleitung stellte mir deshalb zwei Krankenschwestern aus dem Veroneser Krankenhaus als „Hofdamen“ zur Seite. Für die Schwestern war das sicher ihr ungewöhnlichster Einsatz. Ich glaube inzwischen, daß mir nicht nur eine Stimme geschenkt wurde, sondern auch die Gabe, meine Gesundheit auf natürliche Weise wiederherzustellen. Anders kann ich es mir nicht erklären.

 

 

 

Man hat sie wegen ihrer häufigen Absagen oft als launische Primadonna dargestellt. Waren diese Absagen alle krankheitsbedingt?

 

Wenn es nicht um meine Gesundheit ging, dann um die meiner Familie. Als mein Sohn zum Beispiel vor vielen Jahren an einer Salmonellenvergiftung erkrankt war, sang ich in Chicago die „Maria Stuart“. Ich wollte natürlich sofort zu ihm, aber das Opernhaus ließ mich nicht gehen. Also bat ich den spanischen Botschafter in Washington um Hilfe. Er sandte mir einen befreundeten Arzt, der eine „akute Darmentzündung“ bei mir feststellte, die „mindestens 20 Tage Bettruhe erforderte“. Für das Wohl meiner Kinder habe ich so manche Konventionalstrafe gezahlt…

 

 

 

Wie haben sie ihren Mann Bernabé Martí kennengelernt?

 

Wir sind bei einer Aufführung von „Madame Butterfly“ zusammen aufgetreten. Er war Tenor. Ich spielte die japanische Geisha „Butterfly“ und er den amerikanischen Soldaten Pinkerton. Ich fand ihn so männlich und kraftvoll. Doch auf der Bühne war er plötzlich so zurückhaltend. Am Ende des ersten Aktes gibt Pinkerton der Butterfly einen Kuß, bevor der Vorhang fällt. Bernabé hat aber nichts dergleichen getan. Ich war eingeschnappt und ließ ihn das wissen. Als wir einige Monate später wieder zusammen die „Butterfly“ sangen, gab er mir am Ende des ersten Aktes einen so langen Kuß, daß ich ihm, kaum war der Vorhang gefallen, eine Ohrfeige gab. Wir kannten uns schließlich kaum.

 

 

 

Dann ist „Madame Butterfly“ ja so etwas wie eine Schicksalsoper für sie…

 

Das kann man wohl sagen. Es war die erste Oper, die ich im Theater gesehen habe. Die erste Arie, die ich je gesungen habe, war „Un bel dí vedremo“ aus „Madame Butterfly“. Ich habe sie meinen Eltern zu Weihnachten vorgesungen und sie haben mich daraufhin aufs Konservatorium geschickt. Ich habe meinen Mann bei „Madame Butterfly“ kennengelernt, und ich war mit meinem Sohn schwanger, als ich die „Butterfly“ sang.

 

 

 

Haben sie auch später noch mit ihrem Mann auf der Bühne gestanden?

 

Nachdem wir geheiratet hatten, nahm ihn mein Bruder Carlos unter Vertrag, und ich bestand darauf, daß wir so oft wie möglich zusammen auftraten. Bis Bernabé 1977 einen Herzanfall hatte. Ich überredete ihn, sich von der Bühne zurückzuziehen. Er kümmert sich jetzt um unser Weingut und das Landhaus in Ripoll.

 

 

 

Und seitdem haben sie nie wieder miteinander gesungen?

 

Doch. Ein einziges Mal noch: 1985 bei unserer Silberhochzeit in der Klosterkirche in Ripoll – den Kindern zuliebe. Sie hatten uns ja nie zusammen auf der Bühne erlebt.

 

 

 

Sie sind beruflich viel herumgekommen. Genießen sie das Reisen noch immer?

 

Leider habe ich von den Städten und Ländern, die ich besucht habe, oft nicht viel mitbekommen. Für China oder Rußland zum Beispiel habe ich mir natürlich etwas Zeit genommen und die Chinesische Mauer oder die Eremitage in St. Petersburg besucht. Aber in London und New York kenne ich, ehrlich gestanden, die Opern und Konzerthallen am besten – und die Kaufhäuser. Ich liebe es nämlich, einkaufen zu gehen.

Heute bin ich zwar nicht mehr so oft unterwegs, dafür aber in vielen kleineren Städten. Viele Menschen können es sich einfach nicht leisten, in die großen Städte für ein Konzert oder einen Opernabend zu fahren. Aber auch ihnen möchte ich die Opernmusik nahebringen, deshalb besuche ich auf meinen Tourneen in den letzten Jahren auch die kleineren Städte in Spanien, Deutschland und Österreich.

 

 

 

Im vergangenen Jahr sind sie mit ihrer Tochter Montserrat auf Tournee gegangen. Ist sie genauso begabt wie ihre Mutter?

 

Daß sie die Musik so liebt wie mein Mann und ich, daß wir ihr die Freude an der Musik vermitteln konnten – das ist das schönste Geschenk, das sie uns machen konnte. Allerdings finde ich es nicht fair, wenn die Leute versuchen, sie mit mir zu vergleichen. Montsita hat ihre eigene Stimme und ihren eigenen Charakter. Natürlich gebe ich ihr hin und wieder einen Rat – aber nur, wenn sie mich fragt. Sie muß ihren eigenen Stil finden.

 

 

 

Bilden sie auch andere Sänger aus?

 

Ich betreue zurzeit einen Tenor. Er ist 26, hat eine wunderbare Stimme, ist sehr fleißig und macht gute Fortschritte. Er stammt aus Valencia, und ich glaube, er wird eine große Karriere machen. Ich würde jedoch nicht sagen, daß ich ihn ausbilde, ich helfe ihm eher ab und zu. Ich eigne mich, glaube ich, nicht besonders zur Ausbilderin.

 

 

 

Warum nicht?

 

Ich habe einmal Meisterkurse in Madrid gegeben, und die waren ein ziemlicher Flop. Ich wollte die Teilnehmer keinem Auswahlverfahren unterwerfen. So kamen fast 400 Leute zu dem Kurs – Könner und Amateure. Nachdem ich eine Stunde nur über Zwerchfell und Bauchmuskulatur geredet hatte, wurden die ersten unruhig. Als ich dann einem jungen Mädchen sagte, daß ihre Stimme nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten an einem Opernhaus hätte und ein Mann aus dem Publikum sie lautstark verteidigte, brach fast ein Tumult aus. Die aufgebrachte Stimmung legte sich zwar schnell wieder, und die Schüler hörten mir auch bis zum Ende zu, aber ich schwor mir, daß dies meine erste und letzte Meisterklasse sein würde.

 

 

 

Womit beschäftigen sie sich, wenn sie nicht singen?

 

Dann lese ich, studiere neue Partituren und male. Keine große Kunst. Ich würde meine Bilder eher als naive Aquarellmalerei bezeichnen – obwohl Joan Miró sogar eines seiner Bilder gegen eines von mir eintauschen wollte. Er besuchte uns einmal auf unserem Bauernhof in Ripoll und sah die Bilder. Als er fragte, wer sie gemalt habe, antwortete ich: ein junger Student. Ich traute mich nicht zuzugeben, daß sie von mir waren. Miró bat mich, den Studenten zu fragen, ob er ihm eines verkaufen würde oder gegen eines von seinen eintauschen würde. Nun saß ich in der Klemme. Ich sagte aber dann, daß ich den Studenten anrufen und fragen würde.

 

 

 

Und haben sie das Bild getauscht?

 

Nein. Ich habe Miró gesagt, der Student sei zwar sehr geschmeichelt gewesen. Er fände aber, daß er eine so hohe Wertschätzung nicht verdiene.




Mangold – Lasagne à la Caballé

Mangold – Lasagne à la Caballé

Für den Nudelteig:

 

1 Ei

100 g Weizenmehl

etwas Wasser

1 Prise Salz

(oder wahlweise 1 Paket fertige Lasagne-Blätter)

 

 

Für die Füllung:

 

800 g Mangold

100 g Butter

3 Eßl. Mehl

300 ml Milch

200 ml Weißwein

Knoblauch

Salz

Pfeffer aus der Mühle

2 Eßl. Olivenöl

100 g Manchego oder Parmesan

Für den Nudelteig Zutaten verkneten, kaltstellen. Später dünn ausrollen und in 4 oder 5 große Rechtecke schneiden. Die Lasagne-Blätter in kochendem Salzwasser bißfest garen, beiseite stellen. Mangold putzen, die weißen Stile kleinhacken, in Olivenöl andünsten. Nach drei Minuten die ebenfalls kleingehackten grünen Blätter dazugeben, salzen, pfeffern, nochmals drei Minuten dünsten lassen, bis die Flüssigkeit fast verdampft ist. Aus Butter, Mehl, Milch und Wein eine Bechamel-Sauce kochen, mit zerdrücktem Knoblauch, Salz und Pfeffer würzen, zuletzt den feingeriebenen Manchego oder Parmesan unterheben. Eine feuerfeste Form ausfetten, schichtweise Lasagne-Blätter, Mangold und Bechamel einfüllen, mit der Sauce abschließen. Im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad etwa 20 Minuten backen.

 

 





Quelle: STERN / Ausgabe: 28 / 04-07-1996 / Seite: 112 / Autor: *Frank Ochmann*

Quelle: STERN I Ausgabe: 28 / 04-07-1996 / Seite: 112 / Autor: *Frank Ochmann*

 

Die pfundige Primadonna

 

Sie ist die Stimme Spaniens und einer der größten Opern-Stars des Jahrhunderts. In diesem Jahr feiert Montserrat Caballe ihr 40jähriges Bühnenjubiläum. Doch trotz vieler Krankheiten denkt sie nicht ans Aufhören.

 

Nervös blättern sie im Programmheft, suchen das Bild der strahlenden, fächerschwingenden Diva. Scharen von Autogrammjägern drängeln sich vor der Garderobe. Dann ist Einlaß. Geduldig posiert die Verehrte mit professionell geübter, immer gleich freundlicher Miene für einen Schnappschuß und noch einen, signiert Plattenhüllen, Fotos und Bildbände, die mancher gleich stapelweise und andächtig wie zu einer Segnung hereinträgt.

Der Gesang der inzwischen 63jährigen Montserrat Caballe hat zwar nicht mehr den Glanz früherer Jahre, als Kritiker schwärmten, er ströme 'wie Sonnenstrahlen durch das Theater'. Doch daß mit der Sopranistin auch ihre Stimme gealtert ist, ihre bewunderten 'pianissimi' nicht mehr ganz so hauchzart schweben wie einst, stört das Publikum ihrer Konzerte nicht. Laute Bravo-Rufe erschallen nach jedem Vortrag, und Blumen regnen auf die Bühne. Die meisten Besucher kommen ohnehin nicht, um die Caballe singen zu hören. Sie suchen die Begegnung mit der Legende.

Und die beginnt erst richtig bei den Zugaben. Singt die Caballe das angekündigte Programm noch mit der etwas gestelzten Würde der meisten Liederabende, ist ihr Spaß an der folgenden Kür offensichtlich. Da kichert sie und scherzt mit dem Publikum, dessen Vergnügen sie immer weiter stimuliert. Es stört keinen, daß fast alle Gags schon bekannt sind, aus irgendeiner TalkShow oder Benefiz-Gala. Deswegen sind sie ja gekommen, um die Caballe beim 'G'schätzeli' jodeln oder in Rossinis 'Katzenduett' miauen zu hören. Und alle warten gespannt, ob sie vielleicht wieder einmal wie 1972 bei Verdis 'La Traviata' in London genüßlich ein Glas Champagner in ihr Dekollete kippt.

 

 

Wenigstens müssen die Fans von Maria Callas, die Montserrat Caballe erliegen, ihre Monogramme nicht ändern', frotzelte ein Kritiker, nachdem die spanische Sängerin 1965 als 'Lucrezia Borgia' in New York den Durchbruch zum Weltruhm geschafft hatte. Wie allen großen Sopranistinnen der vergangenen vier Jahrzehnte blieb auch Montserrat Caballe der Vergleich mit der zur 'Göttlichen' verklärten Callas nicht erspart. Aber sogar in deren Augen genügte sie offenbar dem Maßstab: Im letzten Interview erklärte 'La Divina' 1977 wie eine scheidende Monarchin, sie sehe nur Montserrat Caballe als ihre Nachfolgerin. Die dankte später artig: 'Es gibt nur eine Maria.'

Den mystisch vernebelten Thron der Callas hat die Caballe tatsächlich nie bestiegen. Selbst wenn sie es gewollt hätte, ihre 'Bühnenerscheinung' sprach dagegen: 'Mir kommt die Erinnerung an eine dicke Frau', schreibt die französische Feministin Catherine Clement. 'Mächtig und lebendig, dieser Haufen Fleisch, der da für uns singt. Enorm, diese dicke Dame, die mit ihrem Gewicht Oper machen kann... O Caballe, unförmiges Idol, nimm nicht ab.'

Andere waren weniger gnädig, das hochtönende Schwergewicht etwa als schwindsüchtige Violetta in Verdis 'La Traviata' zu akzeptieren oder ihr Giacomo Puccinis leichtfüßigen Geisha-Teenager 'Madame Butterfly' abzunehmen. 1967 wollte Herbert von Karajan die Caballe als Donna Elvira in Mozarts 'Don Giovanni' doch die Freude über das Angebot war schnell getrübt, als die Sängerin erfuhr, daß der musikalische Multimedia-Pionier die Produktion nicht nur auf Platte, sondern auch im Film festhalten wollte. Bedingung: Die Auserkorene sollte binnen der kommenden sechs Monate mindestens 15 Kilo abspecken. Das Projekt platzte.

Dabei war Montserrat Caballe in ihrer Kindheit und Jugend längst nicht so üppig. Durch die Wirren des Spanischen Bürgerkriegs geriet die Familie Caballe Ende der dreißiger Jahre wie viele andere auch in drückende Armut. 'Wir hatten kaum etwas zu essen', erinnert sich Montserrat an diese Zeit, 'und ich war schließlich so unterernährt, daß mein Körper offenbar dauerhaft geschädigt wurde.'

 

 

Die Leiden fingen schon bei der Geburt an: Die Nabelschnur wickelte sich um den Hals und drückte das Blut ab; die gerade zur Welt Gekommene überlebte nur knapp. Später neigte das Mädchen wegen eines zu niedrigen Blutzuckerspiegels zu Ohnmachten und sackte beispielsweise beim letzten Ton des Gesangsexamens in Barcelona in sich zusammen. Erst zwei Tage danach ließen sich die Professoren überzeugen, daß der Kollaps keine theatralische Zugabe gewesen war, um Eindruck zu schinden. Die Goldmedaille des Conservatorio del Liceo erhielt sie darum verspätet erst nach 32 Jahren war die tiefgekränkte Diva bereit, die Auszeichnung endlich anzunehmen.

Zu Zeiten ihrer triumphalen Erfolge als 'Norma', 'Aida' oder 'Turandot' quälten sie neben anhaltenden Kreislaufproblemen Nierensteine. 1974 mußte ein großes Unterleibsgeschwür entfernt werden. Und 1985 kam es noch schlimmer: Montserrats 'Freund', wie sie ihn heute nennt, wurde entdeckt ein Gehirntumor im Bereich des Hypothalamus, der zwar mit einem Laser behandelt wurde, dessen operative Entfernung sie aber nach wie vor strikt ablehnt. 'Da lasse ich keinen ran', sagt sie. 'In New York haben mir die Ärzte damals nur noch ein bis drei Jahre gegeben. In Wien haben sie mir gesagt, vielleicht fünf.' Sie lächelt spöttisch. 'Elf Jahre ist das jetzt her.'

 

 

Die Caballe weiß, was Kranksein heißt. So ist es kein plumper Regieeinfall, wenn sie sich bei einem Konzert Anfang des Jahres plötzlich ans Publikum wendet: 'Viele meiner Fans sind heute hier', sagt sie, 'aber über einen freue ich mich ganz besonders. Darum singe ich jetzt für Sie, Jürgen.' Und dann legt sie ihr ganzes Gefühl so atemberaubend in die Stimme, wie es an diesem Abend nur ein einziges Mal zu hören ist.

In der Garderobe später rollen ihr Tränen über das Gesicht, als sie erzählt, daß Jürgen ein schon erblindeter Aids-Kranker ist, der auf Bitten seines Arztes im Rollstuhl zu ihr gebracht worden war. 'Er wollte mich vor seinem Tod noch einmal hören.'

Zahlreich wie ihre Krankheiten sind auch die von Intendanten und Konzertagenten bis heute gefürchteten Absagen ihrer Auftritte. Operngeschichte machte eine Salmonellen-Infektion im Februar 1982, die sich die Caballe drei Tage vor der Premiere von Donizettis 'Anna Bolena' in Mailand holte. Die Direktion der Scala hoffte noch auf eine kurzfristige Genesung der Hauptdarstellerin. Doch vergebens. So wurde erst dem versammelten Publikum mitgeteilt, daß die Caballe nicht singen würde.

Sekunden später entbrannte im Zuschauerraum das Chaos. Unter gellenden Pfiffen und einem Orkan von Buhrufen kam es zwischen rivalisierenden Gruppen von Opern-Hooligans zu so gewalttätigen Schlägereien, daß die Polizei den Saal räumen mußte. Auf den Straßen gingen die Tumulte noch Stunden weiter, und Montserrat Caballe wurde durch das Fenster ihres Hotels beschimpft: Viele glaubten, sie habe in letzter Minute aus Angst vor der Rolle gekniffen, weil sie als erste nach Maria Callas die 'Anna Bolena' an der Scala singen sollte.

 

 

Wegen immer neuer Erkrankungen wurde Anfang der achtziger Jahre bereits das Ende ihrer Karriere vorausgesagt. Doch Mitte November will die Caballe in Basel, dem Ort ihres ersten Engagements, das 40jährige Bühnenjubiläum feiern. Und obwohl sie noch unter den Folgen einer schweren Darmoperation leidet, der sie sich Anfang März unterziehen mußte, denkt sie nicht ans Aufhören. Sie kann es wohl auch nicht. Schließlich ist sie der Motor eines effektiv durchstrukturierten Familienunternehmens, das ihr jüngerer Bruder Carlos seit den sechziger Jahren höchst erfolgreich steuert.

Zur 'Carlos-Caballe-Mafia', wie der spanische Tenor Alfredo Kraus den mächtigen Opern-Clan nannte, gehörte lange auch Bernabe Marta, mit dem die Caballe seit 32 Jahren verheiratet ist und der bis zu einem Herzanfall 1977 selbst international als Tenor auftrat. Heute agiert er vor allem im Hintergrund seiner berühmten Frau und kümmert sich um Montserrats 'Tankstelle', das dreistöckige weiße Landhaus bei Ripoll in den spanischen Pyrenäenausläufern. 'Ich bin bei uns jetzt für die Normalität zuständig', sagt Bernabe lachend und schmatzt seiner Frau einen herzhaften Kuß auf die Stirn. Montserrat gluckst vor Freude und zieht ihren Mann mit strahlenden Augen an den mächtigen Busen.

Die Erholung bei ihrer Familie währt nur kurz. Carlos' Terminplanung ist gnadenlos: Obwohl Montserrat erst am Vorabend von einer Konzerttournee durch Japan und Abstechern nach London und Minsk zu Hause eingetroffen ist 'Im Hotel habe ich es nicht mehr ausgehalten!' , steht bereits vier Tage später ein Auftritt in Moskau auf ihrem Programm.

Carlos Caballe war es auch, der seine Schwester vor den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona mit dem englischen 'Queen'-Sänger und Caballe-Fan Freddie Mercury zusammenbrachte. Durch den gemeinsamen Hit 'Barcelona' fand Montserrat Caballe über die Grenzen der Opern-Szene hinweg ein Millionen zählendes und zahlendes Publikum.

 

 

Eine der jüngeren Ideen ihres Bruders überraschte selbst die Diva. Von 1988 an war ihre damals 17jährige Tochter Montsita eine Koseform von Montserrat in Madrid zum Ballett-Unterricht gegangen. 'Mit der Musik hatten mein Bruder und ich nichts zu tun haben wollen', erzählt Montsita, 'denn die hatte uns als Kindern unsere Mutter weggenommen.'

Doch nach einer Verletzung war es mit dem Tanzen vorbei. Onkel Carlos wußte Rat. Montsitas Zimmerwirtin in Madrid hatte ihm erzählt, sie habe seine Nichte in der Dusche ganz beachtlich singen hören. Carlos Caballe überzeugte sich von ihrem Talent und empfahl Montsita Gesangsunterricht. Die Eltern sollte sie vorerst besser nicht informieren.

Ein paar Monate später überredete Carlos seine Schwester und den Schwager dazu, sich doch eine vielversprechende junge Sängerin anzuhören. Auf der Probebühne des Madrider Opernhauses erwartete sie ihre Tochter Montsita und rührte die Familie mit Puccinis Schmachtarie 'O mio babbino caro' zu Tränen die Karriere der neuen Montserrat konnte beginnen.

 

 











21/04/1996 – BILD der Frau

21/04/1996 – BILD der Frau

 

 

 

Montserrat Caballé

 

Ich möchte keine unglückliche Witwe werden

 

 

Die Szene gleicht dem dritten Akt von „La Traviata“. Montserrat Caballé öffnet die Tür. Sie lächelt. Doch sie sieht mitgenommen aus. Erst vor einer Woche ist sie aus dem Krankenhaus entlassen worden: Darmoperation. Aber sie klagt nicht, sagt nur: „Das Schlimmste ist, daß ich noch nicht wieder richtig lachen kann. Die Narbe schmerzt.“

 

Montserrat Caballé ist 63. Zeit für den Ruhestand. Aber daran denkt sie nicht, sie geht im Sommer auf Deutschlandtournee. Keine Opernsängerin hat mehr Rollen im Repertoire als sie. Keine singt so sanft und so leise. Und keine lacht so laut.

 

Zurzeit erholt sich Montserrat Caballé in ihrer Wohnung in Barcelona, arbeitet dabei an der „Elektra“ von Richard Strauss. In der Wohnung hat sich seit dem Einzug vor dreißig Jahren nicht viel verändert. „Ich habe sogar noch unser allererstes Auto in der Garage“, sagt sie. Die Zimmer sind fast so dunkel wie die Garage. Fenster zur Nordseite – wegen der Hitze im Sommer, Sessel in Samt, überall Fotos: mit ihrem Mann Bernabé, mit den Kindern Bernabé Junior 830) und Montsita (24). Mit Ronald Reagan, mit dem spanischen Königspaar.

 

„Das meiste haben wir nach Ripoll geschafft.“ Ripoll liegt 100 km nördlich von Barcelona. Dort hat sich die Familie vor 30 Jahren einen alten Bauernhof gekauft. Heute ist er ihr Hauptwohnsitz. Hier erteilt die Diva jungen Tenören Gesangsunterricht, studiert Rollen. Sie hebt in Ripoll auch alle Kostüme auf. Die meisten entwirft sie selbst.

 

 

 

Bild der Frau: Wie hat das angefangen?

 

MC: Ich wurde immer dicker und konnte keine Kleider mehr von der Stange kaufen. Ich mußte sie anfertigen lassen. Dabei habe ich meinem Schneider immer wieder dazwischen geredet, bis er schließlich sagte: Warum entwerfen sie die Kleider nicht gleich selbst?

 

 

 

Auch Opernkostüme?

 

Nicht immer. Ich erinnere mich noch an eine „Turandot“-Aufführung in der Mailänder Scala. Da war das Kleid so schwer, daß ich mich nicht bewegen konnte.

 

 

 

Und?

 

Ich habe Birgit Nilsson, die vor mir die Rolle gesungen hat, angerufen und gefragt, wie sie sich fortbewegt hat. Sie antwortete: Gar nicht, ich bin einfach stehengeblieben. Bei mir war die Regisseurin strenger. Ich mußte die Ballettruppe bitten, mein Kleid mitzutragen.

 

 

 

Ist ihnen schon mal ein Kleid gerissen?

 

Mehr als das. Ich sang in New York die „Ariadne auf Naxos“. Und als ich von der Bühne gehen wollte, stand die „Zerbinetta“ auf meinem Kleid. Um ihr das klar zu machen, rief ich: Zerbinetta, warum frisierst du mich nicht? Doch statt von meiner Schleppe zu gehen, griff sie in meine Haare. Im selben Moment stand ich auf. Sie hatte nicht nur meine Perücke in der hand, sondern mir rutschte auch das Kostüm herunter. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: Caballé macht Striptease an der MET.

 

 

 

Wie sieht ihr Alltag aus?

 

Ich stehe um sieben Uhr auf, mache eine halbe Stunde Atemübungen und meistens Yoga. Dann gehe ich unter die Dusche und bereite das Frühstück vor. Von halb zehn bis ein Uhr studiere ich die Partitur, gebe Interviews, bespreche Termine. Dann mache ich Mittagessen, von vier bis acht Uhr wieder Gesangsübungen.

 

 

 

Singen sie morgens nie?

 

Zu Hause nicht.

 

 

 

Kochen sie jeden Tag für ihre Familie?

 

Meine Familie ißt oft etwas anderes. Ich bin Vegetarierin. Nur wenn ich Spaghetti koche, wollen alle mitessen. Meine Pasta ist nämlich besser als die von Pavarotti.

 

 

 

Haben sie nie Fleisch gegessen?

 

Früher konnten wir es uns nicht leisten. Und seit ich mit 19 Jahren an Blutarmut litt und wochenlang nur rohe Leber und Äpfel essen mußte, kann ich kein Fleisch mehr sehen.

 

 

 

Sie haben schwere Krankheiten hinter sich: Nierenoperationen, zwei Tumore, einen Herzanfall…

 

Ich habe mich oft gefragt, wie ich so schnell zurückkehren konnte. Ich glaube, daß mir – wie eine Stimme – die Gabe geschenkt wurde, meine Gesundheit auf natürliche Weise wiederherzustellen.

 

 

 

Hatten sie mal Angst, nicht mehr singen zu können?

 

Oft. Doch dann habe ich an all die Partien gedacht, die ich noch singen möchte. Plötzlich wußte ich: Ich will weiter singen. Es gab Momente, da war ich nur noch die Musik. Ich spürte mich nicht mehr.

 

 

 

Sie spürten ihren Körper nicht mehr?

 

Kaum zu glauben bei meinem Gewicht, oder? Ich habe einmal die „Norma“ von Bellini im Amphitheater von Orange gesungen. Das Bühnenbild, die Kulisse, der Himmel – alles paßte genau zu den Gefühlen, die Norma besang. Und dann wehte noch ein leichter Wind. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Zuschauer applaudierten. Erst da kam ich in die Realität zurück.

 

 

 

Sie waren mit ihrer Tochter auf Tournee. Was empfinden sie, wenn sie mit ihr singen?

 

Manchmal habe ich dann das Gefühl, daß die Nabelschnur zwischen uns nie durchgeschnitten wurde. Allerdings ärgert es mich, wenn einige Leute versuchen, sie mit mir zu vergleichen. Montsita hat ihre eigene Stimme und ihren eigenen Charakter.

 

 

 

Sie wird mit der Callas verglichen.

 

Weil sie ihr so ähnlich sieht. Aber die Stimmen sind sehr verschieden.

 

 

 

Halten sie ihre Stimme zurück, wenn sie mit ihrer Tochter singen?

 

Nein. Ich halte meine Stimme weder für Kollegen noch für meine Tochter zurück. Sie ist ein gleichwertiger Partner.

 

 

 

Montsita, wie ist es, mit der Mutter auf der Bühne zu stehen?

 

Sie ist eine der besten Sängerinnen, deshalb ist es toll. Aber wenn wir auftreten, sind wir nicht Mutter und Tochter, sondern zwei Sängerinnen, die ihr Bestes geben.

 

 

 

Auch ihren Mann lernten sie auf der Bühne kennen und lieben…

 

Ja, bei einer Aufführung von „Madame Butterfly“. Er spielte den Soldaten Pinkerton. Ich fand ihn so männlich und kraftvoll. Doch auf der Bühne war er plötzlich schüchtern. Den Kuß am Ende des ersten Aktes ließ er einfach weg. Ich war eingeschnappt und lie0 ihn das wissen. Einige Monate später sangen wir die Butterfly wieder, da gab er mir einen so langen Kuß, daß ich ihm nach dem Fall des Vorhangs eine Ohrfeige gab. Wir kannten uns schließlich kaum.

 

 

 

Haben sie viel mit ihm gesungen?

 

Wann immer ich konnte. Bis er 1977 einen Herzanfall hatte. Ich überredete ihn, sich von der Bühne zurückzuziehen. Ich möchte keine unglückliche Witwe werden.

 

 

 

Seitdem kein gemeinsames Lied?

 

Doch. Einmal. 1985 bei unserer Silberhochzeit in der Klosterkirche von Ripoll.





02/1996 – „OPER und KONZERT“

02/1996 – „OPER und KONZERT“

 

 

„Ich kann mit Superlativen nichts anfangen“

 

 

Sie hat über 120 Rollen im Repertoire, 36 Jahre Bühnenerfahrung und ist 63 Jahre alt. Montserrat Caballé ist die Grande Dame der Opernbühne. Trotz einer schweren Krankheit ließ sie keine Premiere ausfallen. „Die Musik gab mir die Kraft“, erzählt sie im Interview.

 

 

 

OuK: Sie sind 63 Jahre alt, haben 36 Jahre Bühnenpräsenz hinter sich. Denken Sie eigentlich gelegentlich ans Aufhören?

 

Montserrat Caballé: Finden Sie, ich sollte? Ich dachte, meine Stimme klingt noch ganz gut. Aber Spaß beiseite: Natürlich singe ich heute nicht mehr die „Traviata“ oder „Tosca“. Dafür ist meine Stimme zu dunkel geworden. Ich gebe ja in erster Linie Konzerte, obwohl ich in diesem Jahr noch ein Rollendebüt plane.

 

 

 

Wie bitte? Sie haben doch über 120 Rollen im Repertoire. Gibt es da tatsächlich noch eine Rolle, die sie nicht gesungen haben?

 

Es ist sogar eine ganz bekannte Rolle, nämlich die „Elektra“. Es ist die einzige Frauenpartie von Richard Strauss, die ich noch nicht gesungen habe. Dabei liebe ich Strauss. Er ist für mich der letzte echte Romantiker unter den Komponisten. Die „Salomé“ zum Beispiel ist eine meiner Lieblingsrollen: Sie war eine meiner ersten Partien in Basel, mit ihr habe ich 1959 in Wien debütiert und wurde dafür sogar mit dem „Goldenen Lorbeerkranz“ für die beste Strauss-Interpretation ausgezeichnet. Das war damals eine große Ehre für mich. In einer anderen Rolle von Strauss, der „Arabella“, stand ich 1962 zum ersten Mal in meinem Heimattheater, dem „Teatro del Liceu“ in Barcelona, auf der Bühne. Und mit der „Ariadne auf Naxos“ habe ich eine der peinlichsten Szenen meiner Opernkarriere erlebt.

 

 

 

Was war das?

 

Ich sang die „Ariadne“ in New York. Und als ich nach Zerbinettas großer Arie „Großmächtige Prinzessin“ von der Bühne gehen wollte, stand sie auf meinem Kleid. Um ihr das klar zu machen, rief ich: Zerbinetta, warum frisierst du mich nicht? Doch statt von meiner Schleppe zu gehen, griff sie in meine Haare. Im selben Augenblick stand ich auf. Sie hatte nicht nur meine Perücke in der Hand, sondern mir rutschte auch noch das Kostüm herunter. Am nächsten Tag stand in der Zeitung: „Caballé macht Striptease an der MET“.

 

 

 

Sie haben mach’ schwere Krankheit durchstehen müssen: Nierenoperationen, zwei Tumore, einen Herzanfall – und standen danach immer wieder auf der Bühne. Was hat Ihnen die Kraft gegeben?

 

Auch ich habe mich oft gefragt, wie ich nach so vielen Krankheiten und Operationen immer wieder so schnell auf die Beine kam. Ich glaube inzwischen, daß mir ebenso wie mir eine Stimme geschenkt wurde, die Gabe geschenkt wurde, meine Gesundheit auf natürliche Weise wiederherzustellen. Anders kann ich es mir jedenfalls nicht erklären.

 

 

 

Sie galten vielfach als launische Primadonna wegen ihrer Absagen. Waren sie alle krankheitsbedingt?

 

Ja. Wenn es nicht um meine Gesundheit ging, dann um die meiner Familie. Als mein Sohn zum Beispiel vor vielen Jahren an einer Salmonellenvergiftung erkrankt war, sang ich in Chicago die „Maria Stuart“. Ich wollte natürlich sofort zu ihm, aber das Opernhaus ließ mich nicht gehen. Also bat ich den spanischen Botschafter in Washington um Hilfe. Er sandte mir einen befreundeten Arzt, der leider eine akute Darmentzündung bei mir feststellte, die mindestens 20 Tage Bettruhe erforderte. Für das Wohl meiner Kinder habe ich sicher so manche Konventionalstrafe gezahlt. Übrigens bin ich auch manches Mal aufgetreten, obwohl ich krank war, nur um Publikum und Theater nicht zu enttäuschen.

 

 

 

Wann zum Beispiel?

 

Im März 1974 hatte man bei mir einen Tumor im Unterleib festgestellt. Ich wollte aber meine Verpflichtungen noch bis zur Sommerpause erfüllen. Die Ärzte gaben grünes Licht, und so wurde ich erst im September operiert. Bis dahin war der Tumor zweieinhalb Mal so groß geworden. Ein andermal hatte ich mir in London die Kniescheibe gebrochen. Kurz danach stand mein Debüt in der Arena di Verona an als Elisabeth von Valois in „Don Carlos“. Ich wollte unbedingt auftreten. Die Festivalleitung stellte mir deshalb zwei Krankenschwestern aus dem Veroneser Krankenhaus als Hofdamen zur Seite. Für die Schwestern war das sicher ihr ungewöhnlichster Einsatz.

 

 

 

Gab es Momente, in denen sie Angst hatten, nicht mehr singen zu können?

 

Viele, doch dann habe ich an all die Partien gedacht, die ich noch singen möchte. Ich habe mir auch die Rollen, die ich gesungen habe, immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Und plötzlich wußte ich: Ich will weiter singen. Wissen sie, ich habe Momente erlebt, da vergaß ich, daß ich auf der Bühne stand. Ich war in einer anderen Welt, in einer anderen Dimension. Es gab nur noch die Musik und mich. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, sondern schwebte in der Musik.

 

 

 

Sie spürten ihren Körper nicht mehr? Wie ging das?

 

Kaum zu glauben bei meinem Gewicht, nicht? Aber wenn Orchester und Sänger miteinander harmonieren und die Stimmung rundherum zur Musik paßt, dann kann man schon in eine Art Extase geraten. Ich habe einmal die „Norma“ von Bellini im Amphitheater von Orange gesungen. Das Bühnenbild, die Kulisse, der Himmel – alles paßte genau zu den Gefühlen, die Norma in ihrer Arie besang. Und dann wehte noch ein leichter Wind. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Selbst die Zuschauer waren völlig mitgerissen. Ich wurde erst durch den Applaus wieder in die Realität zurückgeholt. Und das war, als ob mir ein schwerer Felsbrocken vor die Füsse fallen würde.

 

 

 

Sie gelten als die Sängerin mit den außergewöhnlichsten „Pianissimi“ und der hervorragendsten Gesangs- und Atemtechnik. Ist so etwas angeboren oder kann man das erlernen?

 

Ach, wissen sie, ich kann mit solchen Superlativen nicht viel anfangen. Ich kann ihnen jedoch versichern, meine „Pianissimi“ sind das Ergebnis sorgfältigen Übens. Ich bin auf sie gestoßen, als ich die italienische Sopranistin Renata Tebaldi im Theater und später den spanischen Tenor Miguel Fleta auf Platte hörte. Beide sangen wunderschöne Pianissimi, und ich fragte mich, wie sie das schafften. Dann merkte ich bei meinen Übungen, daß ich bei einem Piano genau das Gegenteil machen müßte wie bei einem Forte. Wenn ich also für ein Forte einatme und den Atem mit Muskeln unter dem Zwerchfell stütze, dann muß ich für ein Piano die tiefeingeatmete Luft bewegungslos halten. In dieser Leere schwebt dann der Ton leicht und leise. Ich bin leider keine gute Pädagogin, aber ich hoffe, sie verstehen, was ich meine.

 

 

 

Sind es auch ihre Pianissimi, mit denen sie die Menschen zu Tränen rühren?

 

Ich glaube, das bin gar nicht ich, sondern das ist der Komponist. Er hat schließlich die Musik geschrieben. Ich gebe sie nur wieder. Bei einem schlechten Stück kann ich noch so schön singen, es wird die Menschen nicht rühren. Aber auch bei einem guten Stück wird es einem Sänger nicht immer gelingen, das, was der Komponist mit der Musik ausdrücken will, ergreifend herüberzubringen. Denn Musik wirklich schön herüberzubringen, ist Teamarbeit. Nur wenn alle der Musik auf diegleiche Art und Weise dienen wollen, nur wenn Dirigent, Orchester und Sänger vollkommen übereinstimmen, dann erzeugen sie eine Stimmung, bei der das Publikum den Tränen nahe ist oder Gänsehaut bekommt – so wie in der Norma damals.

 

 

 

Wie wichtig ist Disziplin für einen Sänger?

 

Disziplin ist alles – und zwar in mehrerer Hinsicht. Als erstes kommt es darauf an das zu halten, was der Komponist vorgegeben hat. Dann ist es natürlich wichtig auf der Bühne, den Anweisungen und Taktvorgaben des Dirigenten genau zu folgen. Ich erinnere mich noch, als Luciano Pavarotti und ich zusammen in Glyndebourne im „Maskenball“ auftraten. Luciano wollte am Ende des Liebesduetts im zweiten Akt ein ‚ritenuto’ singen, die Note also länger halten. Das stand zwar nicht in der Partitur, machte sich bei ihm aber sicher gut. Bernhard Haitink, der Dirigent, war dagegen, was Luciano jedoch nicht daran hinderte, es in der Premiere trotzdem zu tun. Haitink dirigierte einfach weiter, und wir anderen lagen mit unseren Stimmeinsätzen natürlich schief. Luciano verließ dann auch noch wütend die Bühne, so daß der Vorhang mitten in der Szene heruntergelassen werden mußte.

 

 

 

Haben sie denn auch ein regelmäßiges Übungsprogramm?

 

Oh ja. Ich stehe jeden Morgen um sieben Uhr auf, mache eine halbe Stunde Atemübungen und meistens noch etwas Yoga. Dann gehe ich unter die Dusche und bereite das Frühstück vor. Von halb zehn bis ein Uhr studiere ich Partituren, bespreche Termine und was sonst noch so anfällt. Dann bereite ich das Mittagessen vor. Und von vier bis acht Uhr mache ich verschiedene Gesangsübungen und singe das, was ich mir am Vormittag in der Partitur erarbeitet habe.

 

 

 

Hatten sie eigentlich Vorbilder?

 

Ich habe viele Sängerinnen bewundert. Renata Tebaldi, wie gesagt. Ich habe sie oft am Teatro del Liceu in Barcelona gehört, als ich dort im Konservatorium studierte. Und dann natürlich Maria Callas. Leider habe ich sie nie auf der Bühne erlebt, sondern nur auf Schallplatten. 1971 lernte ich sie dann auch persönlich kennen. Sie hatte sich damals schon von der Bühne zurückgezogen. Sie lud meinen Mann und mich zum Abendessen ein, als ich in Paris sang. Dort habe ich sie auch später noch öfter getroffen. Ich erinnere mich noch, wie sie einmal zu meinem Mann Bernabé sagte, gib mir gut Acht auf Montserrat. Denn Sängerinnen gibt es viele. Sängerinnen, die singen wie Montserrat wenige, aber Montserrat als Frau gibt es nur eine. Ich war sehr gerührt, und werde dieses Kompliment nie vergessen. Drei Jahre später, als ich die „Norma“ im Amphitheater von Orange sang, schickte sie mir sogar die Ohrringe, die sie zu ihrem Auftritt an der Scala von Luchino Visconti geschenkt bekommen hatte. Das war für mich eine große Ehre. Ich habe die Ohrringe jedoch nie getragen.

 

 

 

Mit berühmten Dirigenten harmonisierten sie hingegen nicht immer so gut?

 

Auf wen spielen sie an: auf Herbert von Karajan? Ich würde es anders ausdrücken: Wir waren zwei Dickköpfe, die einander sehr schätzten, aber aufgrund von Gewichtsproblemen nicht zueinander passten.

 

 

 

Aufgrund von Gewichtsproblemen?

 

Ja. 1967 bot mir Karajan die Rolle der Donna Elvira in „Don Giovanni“ an, forderte mich jedoch auf, nach München zum Vorsingen zu kommen. Da wir beide damals an der MET gastierten, schlug ich ihm vor, das Vorsingen doch in New York stattfinden zu lassen. Karajan war einverstanden. Das Vorsingen lief gut, aber er bestand auf einer weiteren Probe in München – und zwar vor der Kamera. Er wollte die Aufführung nämlich aufzeichnen und hatte Sorge, daß ich für die Kamera zu kräftig gebaut sei. Wir machten die Fernsehaufnahmen schließlich ebenfalls in New York. Karajan beharrte jedoch weiterhin darauf, daß ich abnehmen sollte. Daraufhin verzichtete ich auf meinen Auftritt in Salzburg und schrieb ihm, daß ich nicht daran dächte, für ihn auch nur ein einziges Kilo abzunehmen.

 

 

 

Aber sie haben doch unter Karajan gesungen?

 

Ja, das Verdi-Requiem einige Jahre später in Salzburg. Ich hatte Karajan nach seiner Einladung zwar geschrieben, daß ich in den letzten Jahren nochmals 12 Kilo hinzugewonnen hätte, doch er meinte nur: Das sei in Ordnung, beim Verdi-Requiem würde ich ja in Schwarz auftreten.

 

 

 

Sind sie eigentlich abergläubisch?

 

Nein. Ich bete allerdings vor jeder Vorstellung. Nicht dafür, daß meine Stimme gut drauf ist, sondern eher, daß die Vorstellung glatt läuft. Wer so viel Verrücktes auf der Bühne erlebt hat, wie ich, der würde auch darum beten.

 

 

 

Ist bei ihnen denn so viel schiefgelaufen?

 

Ich könnte ein ganzes Buch damit füllen. Am meisten Spaß auf der Bühne hatte ich wohl mit Marilyn Horne. Wenn wir zusammen sangen, passierte immer etwas. Am komischsten war, wie wir in einer „Semiramide“-Aufführung am Fußboden kleben blieben, weil ein Bühnenarbeiter Coca-Cola darauf verschüttet hatte. Er hatte es in guter Absicht getan, denn wir hatten uns Tags zuvor darüber beschwert, daß der Boden so rutschig sei.

 

 

 

Welches war die ungewöhnlichste Rolle, die sie je gesungen haben?

 

„Des Kaisers neue Kleider“ nach dem Märchen von Hans Christian Andersen. Rossini und auch der Schweizer Komponist Heinrich Sutermeister haben diesen Stoff vertont. Wir haben 1960 in Bremen die Sutermeister’sche Version aufgeführt. Darin ging es um einen Kaiser, der all sein Geld für Kleider ausgab. Eines Tages kamen zwei Betrüger, die behaupteten, einen Stoff weben zu können, der nur für kluge Menschen sichtbar sei. Natürlich existierte dieser Stoff nicht, und so liefen Kaiser und Kaiserin in Unterwäsche auf der Bühne herum. Ich sang die Kaiserin, gestehe aber, daß ich damals noch sehr viel schlanker war als heute.

 

 

 

Es gibt Musikkritiker, die behaupten, die Opern der letzten Jahrhunderte würden allmählich aussterben, wenn sie nicht in einem zeitgenössischen Kontext auf die Bühne gebracht würden. Sehen sie das auch so?

 

Das ist Unsinn. Natürlich kann man eine Oper nicht jahrzehntelang und überall mit dem gleichen Bühnenbild inszenieren. Aber das, was auf der Bühne geschieht, darf auch nicht konträr zu der Musik laufen. Heutzutage gibt es jedoch viele Regisseure, die sich weniger mit der Musik umso mehr aber mit sich selbst auseinandersetzen. Hauptsache, ihre Inszenierung bringt Schlagzeilen – egal, aus welchem Grund! Mit solchen Regisseuren würde ich nie arbeiten. In meinen Augen sollen Sänger, Orchester und Regisseur ausschließlich der Musik dienen.

 

 

 

Würden sie eine Rolle sogar kurzfristig hinschmeißen, wenn sie mit dem Konzept nichts anfangen können?

 

Selbstverständlich. Das habe ich sogar an der Mailänder Scala gemacht. Da hatte der Filmregisseur Mauro Bolognini 1972 für eine Neuinszenierung der „Norma“ ein ziemlich wirres Bühnenbild entworfen. Überall waren Holzkisten verteilt und die Sänger und der Chor mußten sich da richtig durchkämpfen. Ich fragte deshalb den Regisseur nach der Probe, ob er das wirklich künstlerisch akzeptabel fände. Er sagte nur: Oh ja, die Generalprobe sei nahezu perfekt gewesen. Daraufhin packte ich meine Sachen und ging. Die Intendanz lenkte schließlich ein, obwohl wir das Bühnenbild nicht mehr ändern konnten. Als dann Regie und Bühnenbild bei der Premiere ausgepfiffen wurden, war das natürlich ein stiller Triumph für mich.

 

 

 

Wurden sie eigentlich mal so richtig ausgebuht?

 

Einmal 1982 an der Scala. Da gab es eine Gruppe von Claqueuren, die pfiffen. Ich war damals sehr krank und konnte die Premiere von „Anna Bolena“ nicht singen. Die Intendanz hatte das Publikum darüber jedoch erst am Abend der Premiere informiert, obwohl ich schon zwei Tage vorher abgesagt hatte. Die Zuschauer dachten daraufhin, ich hätte Angst, Maria Callas’ Paraderolle zu singen. Als ich dann zur zweiten Vorstellung kam und ihnen zeigte, daß ich keineswegs Angst davor hätte, haben mich diese Claqueure ausgebuht. Der Rest des Publikums hat dann jedoch die Buhrufe mit Klatschen übertönt.

 

 

 

Was empfinden sie, wenn sie ausgebuht werden?

 

Ich habe damals nicht viel empfunden, weil eben sehr schnell sehr laut geklatscht wurde. Und so war ich mehr damit beschäftigt, herauszufinden, ob wirklich einer buhte oder nicht. Aber mein Mann sagt immer: Das ist doch nur natürlich, daß du nicht jedem gefällst.

 

 

 

Ihr Mann Bernabé war auch Sänger, nicht wahr?

 

Ja. Er war Tenor. Nachdem wir geheiratet hatten, nahm ihn mein Bruder Carlos unter Vertrag, und ich bestand darauf, daß wir so oft wie möglich zusammen auftraten, bis er 1977 einen Herzanfall hatte. Ich überredete ihn dann, sich von der Bühne zurückzuziehen.

 

 

 

Haben sie ihren Mann nicht sogar auf der Bühne kennengelernt?

 

Ja, wir lernten uns bei einer Aufführung von „Madama Butterfly“ kennen. Ich sang die Madama Butterfly und er den Pinkerton. Ich fand ihn so männlich und kraftvoll. Doch auf der Bühne war er plötzlich so zurückhaltend. Am Ende des ersten Aktes gibt Pinkerton der Butterfly normalerweise einen Kuß, bevor der Vorhang fällt. Bernabé hat aber nichts dergleichen getan. Ich war eingeschnappt und ließ ihn das wissen. Als wir einige Monate später wieder zusammen die „Butterfly“ sangen, gab er mir am Ende des ersten Aktes einen so langen Kuß, daß ich ihm, nachdem der Vorhang gefallen war, eine Ohrfeige gab. Wir kannten uns schließlich kaum.

 

 

 

„Madama Butterfly“ ist für sie wohl so etwas wie eine Schicksaloper?

 

Das kann man wohl sagen. Es war die erste Oper, die ich am Theater gesehen habe. Die erste Arie, die ich je gesungen habe, war „Un bel die vedremo“ aus „Madama Butterfly“. Ich habe sie meinen Eltern zu Weihnachten vorgesungen, und sie haben mich daraufhin ins Konservatorium geschickt. Ich habe meinen Mann bei „Madama Butterfly“ kennengelernt und ich war mit meinem Sohn schwanger, als ich die „Butterfly“ sang.

 

 

 

Im vergangenen Jahr sind sie mit ihrer Tochter auf Tournee gegangen. Was ist das für ein Gefühl, mit ihr auf der Bühne zu stehen?

 

Daß sie die Musik so liebt wie mein Mann und ich, daß wir ihr die Freude an der Musik vermitteln konnten – das ist das schönste Geschenk, was sie uns machen konnte. Allerdings finde ich es nicht fair, wenn die Leute immer wieder versuchen, sie mit mir zu vergleichen. Montsita hat ihre eigene Stimme und ihren eigenen Charakter. Natürlich gebe ich ihr hin und wieder einen Rat – aber nur, wenn sie mich fragt. Sie muß ihren eigenen Stil finden.

 

 

 

Halten sie ihre Stimme manchmal zurück, wenn sie mit ihr singen?

 

Nein. Ich halte meine Stimme weder für Kollegen noch für meine Tochter zurück. Für mich ist sie ein gleichwertiger Partner wie José Carreras oder Marilyn Horne. Es hilft ihr auch nicht, wenn ich mich zurückhalte. Denn eines Tages steht sie mit anderen Kollegen und Kolleginnen auf der Bühne, und da muß sie ebenso mithalten können.

 

 

 

Bilden sie eigentlich auch andere Sänger aus?

 

Ich betreue zurzeit einen Tenor. Er ist 26, hat eine wunderbare Stimme, ist sehr fleißig und macht gute Fortschritte. Er stammt aus Valencia, und ich glaube er wird eine große Karriere machen. Ich würde jedoch nicht sagen, daß ich ihn ausbilde, ich helfe ihm eher ab und zu. Ich eigne mich, glaube ich, nicht besonders zur Ausbilderin.

 

 

 

Warum nicht?

 

Ich habe einmal Meisterkurse in Madrid gegeben, und das war ein ziemlicher Flop. Ich wollte die Teilnehmer keinem Auswahlverfahren unterwerfen. So kamen fast 400 Leute zu dem Kurs: Könner und Amateure. Nachdem ich eine Stunde nur über Zwerchfell und Bauchmuskulatur geredet hatte, wurden die ersten unruhig. Als ich dann einem jungen Mädchen sagte, daß ihre Stimme nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten an einem Opernhaus habe, und sie ein Mann aus dem Publikum lautstark verteidigte, brach fast ein Tumult aus. Die aufgebrachte Stimmung legte sich zwar schnell wieder, und die Schüler hörten mir auch bis zum Ende zu, aber ich schwor mir, daß dies meine erste und letzte Meisterklasse würde.