David Bret: CALLAS

David Bret: CALLAS 

 

 

Vorwort von Montserrat Caballé

aus der Callas-Biographie von David Bret

 

Maria Callas bin ich zum ersten Mal in New York begegnet, als ich in der Saison 1968/69 »Don Carlo« und »Luisa Miller« sang. Nach einer Probe unterhielten wir uns, und ich gestand ihr, dass ich mit meiner Leistung unzufrieden war. Ihr Gesicht leuchtete auf, und sie sagte: »Das ist ein gutes Zeichen! Solange man sich noch eingestehen kann, dass man schlecht gesungen hat, weiß man auch, dass man es noch besser kann, wenn man sich darum bemüht. An dem Tag aber, an dem man anfängt, zu glauben und jedermann einzureden, wie wunderbar man ist, an dem Tag sollte man einen langen Urlaub nehmen! « Am selben Abend lud sie meinen Mann und mich zu einem Essen mit Pasolini ein. Und wir wurden enge Freunde und blieben es bis zu ihrem Tod.

Zu meinem größten Bedauern habe ich Maria Callas nie auf der Opernbühne erlebt - ich besuchte zwar eine der Meisterklassen, die sie an der Juilliard School in New York gab, und war dabei, als sie gegen Ende ihrer Karriere das wundervolle Konzert mit di Stefano in der Carnegie Hall gab. Davon abgesehen aber musste ich mich wie viele andere mit Mitschnitten ihrer Auftritte begnügen. Und doch, wenn schon diese Aufnahmen so einzigartig sind, wie erst muss sie auf der Bühne geklungen haben, zu der Zeit, da sie die absolute Puccini- und Verdi-Heroine war!

Maria Callas war der absolute Profi, eine regelrechte Arbeitsbiene, die fleißigste, die es in unserer Branche jemals gegeben hat. Für sie war Arbeit eine Art Religion. »Auf eine Probe bereite ich mich genauso vor, wie ich mich auf eine Hochzeit vorbereiten würde«, hat sie mir einmal gesagt, wenn ich auch das Gefühl habe, dass die Ehe zwischen Maria Callas und ihrem Publikum viel mehr war als die herkömmliche. Sie war wie eine Nonne, die das Gelübde abgelegt hat: Die Bühne war ihr Altar, das Theater ihr Heiligtum. Ihr Leben hatte sie ihrem Beruf gewidmet - Kopf, Herz und Seele -, und wenn sie darüber sprach, wie sie ihre Rollen einstudierte, wobei sie stets dem Diktat des Komponisten folgte, dann sagte sie seine Anweisungen so andächtig auf, als läse sie in der Bibel. Es war jedoch nicht mangelnder Glaube, der ihren Mut brach, es war das mangelnde Verständnis und Mitgefühl anderer, das ihrem Leben ein Ende setzte.

Wenn Maria Callas unter Kollegen als schwierig galt, dann lag das daran, dass sie eben ein absoluter Profi war, und manch anderer war es nicht. Sie erzählte mir, dass bei einer Probe an der Scala die anderen, statt zu singen, eine heftige Diskussion über Fußball führten! Darüber hatte sie sich sehr empört. Nur unter mittelmäßigen Leuten galt sie als schwierig, unter solchen, die sich nicht der Kunst verschrieben hatten ... solchen Dirigenten, Regisseuren und Sängern, die sich ganz und gar nicht für die Oper aufopferten, sondern nur für das, was ihnen selbst etwas einbrachte. Die nannte sie die »Ex-und-Hopps«. Und so viele von ihnen waren neidisch auf ihren Erfolg. Es gibt nichts Hässlicheres als Missgunst und Eifersucht.

In den entscheidenden Jahren meiner künstlerischen Entwicklung stand mir Maria Callas stets mit Rat und Tat zur Seite. Als mir zum Beispiel »Macbeth« von der Scala angeboten worden war, riet sie mir ab. »Sie müssen Ihnen Opern anbieten, die zu Ihrer Stimme passen«, sagte sie. »Für 'Macbeth' ist eine hässliche Stimme nötig, nicht eine so schöne wie die Ihre, und außerdem ist die Rolle eher etwas für ein heftiges Temperament! «

Auch in persönlichen Dingen gab sie mir Ratschläge. Ich weiß, dass sie selber genug Probleme hatte, aber über die sprachen wir nie, und ich habe sie auch niemals klagen hören. Maria Callas sorgte sich um das Wohlergehen ihrer engsten Freunde, denn sie hatte ja so wenige. »Wahre Freunde sind etwas ganz Besonderes«, pflegte sie zu sagen, »doch man muss mit ihnen sehr sorgsam umgehen, denn mitunter denkt man, wenn man einen Freund hat, er sei ein Fels, und muss dann plötzlich erkennen, dass er nur aus Sand ist. Es ist furchtbar, durchs Leben zu gehen im Glauben, einen Fels an der Seite zu haben, und dann ist es gar nicht so. «

Die Callas, die ich gekannt habe, war eine außergewöhnliche Künstlerin, eine wunderbare Frau, eine Freundin und ein Fels. So etwas wie sie gibt es nicht noch einmal.

 

Montserrat Caballé,
Barcelona, 3. Juni 1997