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12.04.2003

 

"Ich werde nie eine Abschiedstournee geben"

 

Die Sopranistin Montserrat Caballé, die am Samstag 70 Jahre alt wird, über das Geschäft, Liebe, Pop und andere Seitensprünge

 

Montserrat Caballé ist die berühmteste Sopranistin der Welt ("sagen Sie das nicht, da will ich mich immer umdrehen und sehen, wer da noch hinter mir steht") - und sie ist auch die älteste aktive. Eine Deutschland-Tournee findet heute, an ihrem 70. Geburtstag, in Hamburg ihren Höhepunkt. Zu diesem Jubiläum ist eine opulente, von ihr selbst auf Deutsch synchronisierte Kinodokumentation über ihr Leben herausgekommen. Mit Montserrat Caballé sprach Manuel Brug.

DIE WELT: Was bedeuten für Sie die Jahre 1985 und 1987?      

Montserrat Caballé: 1985 hatte ich meinen Hirntumor, ich hätte nie gedacht, dass es danach für mich noch ein Morgen gibt. Und 1987 habe ich "Barcelona" aufgenommen.

DIE WELT: Wie kam es dazu?

Caballé: Es war eine Idee des Bürgermeisters von Barcelona, Der hat mich, als ich in Lausanne beim Internationalen Olympischen Komitee mit dabei war, gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ein modernes Lied zu singen, um die Jugend nach Barcelona einzuladen. Mein Bruder hatte die Idee, Freddy Mercury zu fragen.

DIE WELT: Kannten Sie sich schon vorher?

Caballé: Ja, er hat mich schon lange verehrt, hat meine Vorstellungen in London und New York besucht, und wir waren auch bekannt. Er war begeistert von der Idee. Na ja, zwei Primadonnen! Deshalb hatte ich schnell Vertrauen zu ihm, auch weil er wirklich ein kreativer Mensch war. Er stand Jahrzehnte an der Rampe wie ich, er spielte Klavier. Er war ein Musiker! Bei uns stimmte die Chemie, nur deshalb wurde der Song auch so ein Erfolg.

DIE WELT: Also kein fremdes Terrain?

Caballé: Nein, diese Diskussion um U und E, das ist so typisch! Viele Opern sind Quatsch, genauso wie viele Popsongs. Und immer gibt es auch Qualität. Zwischen Quatsch und Musik ist ein großer Unterschied. Bei den Stücken und bei den Interpreten. Die muss man suchen. Ich suche gerne, ich finde nicht immer, aber dann suche ich immer weiter. Und meine Pop-Ausflüge haben mir immer neue Welten eröffnet. Man muss in ganz kurzer Zeit sein Publikum überzeugen können. Als Opernsängerin habe ich dafür meist einen Abend. Mit einem Popsong höchstens fünf Minuten.

DIE WELT: Hätten Sie gedacht, dass auf Pop ein Teil ihrer Karriere sich aufbauen würde?

Caballé: Nein, aber ich habe damit offenbar eine Lawine losgetreten. Zumindest für mich. Ich stehe zu diesen Seitensprüngen. Nicht alle waren bedeutsam, so wie auch nicht jeder Opernauftritt wichtig sein kann. Aber sie bedeuten für einen selbst etwas. Ich habe manchem Menschen dadurch ein Fenster in eine andere Kunstform geöffnet. Mich befriedigt das. Ich wollte zum Beispiel immer auch die Isolde singen. Ich habe mir diesen Traum für einige, wenige Vorstellungen erfüllt, mit wunderbaren, wissenden Kollegen, die mich getragen und angespornt haben. Ich habe also mein Royal Flash hingelegt, die Semiramis, die Norma, die Traviata, die Salome, die Isolde. Wer kann das schon von sich behaupten? Mich jedenfalls befriedigt das.

DIE WELT: Wer hat sie so neugierig gemacht?

Caballé: Ich bin so - und meine Lehrerinnen haben mich immer ermutigt. Sich auf ewig selbst wiederholen, das ist nichts für mich. Ich will immer wieder über mich hinauswachsen, will lernen, ausprobieren, etwas wagen. Und meine Fans erwarten ständig Neues von mir. In meiner Jugend habe ich viel Zarzuela und spanische Operette gesungen. Heute erarbeite ich mir spanische mittelalterliche Lieder. Ich wollte immer eine Mozart-Sängerin sein, und Donna Elvira ist auch heute noch die Rolle, die ich am häufigsten gesungen habe. Doch plötzlich wurde ich als Belcanto-Sängerin berühmt.

DIE WELT: Weil sie 1965 so spektakulär für die schwangere Marilyn Horne in New York in "Lucrezia Borgia" eingestiegen sind?

Caballé: Was heißt spektakulär? Ich musste die Rolle erst lernen, habe einfach meine Mozart-Piani und -Fiorituren auch dort angewendet. Für mein Piano kann ich nichts, dass ist ein Geschenk des Himmels, die Bögen, das Liniensingen, das ist dann harte Arbeit mit den Pädagogen und den Dirigenten, die mich geformt haben.

DIE WELT: Geformt auch in Deutschland?

Caballé: Natürlich. In Barcelona bin ich geboren, das Teatro Liceu ist meine Heimatbühne. Aber in Deutschland bin ich musikalisch erstanden, in meinen Anfängerjahren von 1956 bis 1962 in Basel und Bremen. Ich war eine hungrige Novizin, ich habe alles in mich hineingefressen, die Romantik, die Richtigkeit der Musik. In drei Jahren Bremen eine Stadttheaterbasis zu bauen, das hat mich stark gemacht für die Welt.

DIE WELT: Und wie beobachten Sie heute die Sänger-Szene?

Caballé: Keiner hat mehr Zeit, man redet nicht, man schickt E-Mails. Heute vermisse ich die Seele, die Entäußerung, das Individuelle im Klang, das sich zwischen die Noten schiebt. Alles ist so kalkuliert, man will wenig investieren, gleich verdienen.

DIE WELT: Was ist das Geheimnis ihres Erfolges?

Caballé: Ich versuche meine Arbeit gut zu machen, dem Helden des Abends, dem Komponisten zu dienen. Und ich tue das, was ich tue, sehr, sehr gerne. Lasse mich von den Stücken tragen. Und: Man muss auf der Bühne glücklich sein. Ich bin glücklich, ruhe vor allem in meiner Familie. Maria Callas, der ich unglaublich viel an Wissen und Ratschlägen verdanke, sie war nicht glücklich auf der Bühne. Sie musste immer eine missgünstige Welt überzeugen. Sie konnte selbst in den Tagen des größten Ruhmes ihre Erfolge nicht wirklich genießen. Einmal hat sie zu mir gesagt: ,Ich habe mein Leben selbst ruiniert, nicht mein Publikum.'

Ich genieße. Vor allem seit meinen diversen Krankheiten. Jeder Tag ist ein geschenkter Tag, den ich erfüllen möchte. So wie heute. Ich stehe an meinen 70. Geburtstag in Hamburg auf der Bühne. Und sammele Geld für ein krankes Kind. Das finde ich sinnvoll. Ich hätte nie gedacht, dass ich so lange am Singen Spaß haben würde. Aber ich habe Pläne, auch für neue Rollen, bis 2005. Ich bin da!" Und ich werde nie, nie eine Abschiedstournee geben.

 





06/04/2003 / WELT ONLINE

06/04/2003 / WELT ONLINE

 

„Ich bin doch Norddeutsche"

 

Ihren 70. Geburtstag feiert Operndiva Montserrat Caballé an der Elbe. Sie schätzt die Hamburger als besonderes Publikum

 

 

Warum ich meinen 70. Geburtstag gerade in Hamburg feiern werde? Ich bitte Sie, ich bin doch Norddeutsche", staunt Montserrat Caballé und schickt ein großes Lachen hinterher, das gleich die ganze Caballé enthält: herzhaft und herzlich.

Das mit der Norddeutschen ist gar nicht mal so abwegig. Hier im Norden, nicht an der Elbe allerdings, sondern nebenan bei der Stiefschwester Bremen, war die geborene Katalanin als ganz junge Sängerin drei Jahre engagiert gewesen. Dann immer wieder Gast am Dammtor, als Tosca, als Elisabeth im „Don Carlos", dazu Liederabende, Konzerte, konzertante Aufführungen.

„Und meine Tochter hat ihr Operndebüt hier an der Staatsoper gehabt, im 'Giovanni' als Zerlina", ergänzt sie eifrig. Und ihr Mann, der Tenor Barnabé Marti, habe oft hier gesungen, den Troubadour und anderes, und „immer waren die Hamburger ein besonders warmes, aufmerksames, dankbares Publikum." Ach, wirklich? Keine sturen Fischköppe? „Oh, no!" „Die Deutschen können sich begeistern wie die Italiener. Würden die nur einmal so zuhören wie die Deutschen!" Das wiederum hat nicht die Caballé, sondern Maria Callas gesagt, anno 1959 bei der triumphalen Aufnahme ihrer ersten, in Hamburg gestarteten Deutschland-Tournee.

Dazu lächelt nun, mit kleinem feuchten Schimmer im dunklen Blick, ihre jüngere Kollegin: „Die Maria, ja! Immer in Augenblicken des Erfolgs so großzügig mit guten Worten über andere. Eine großartige Frau. Ein Toréador ihrer Kunst. Und so unglücklich dabei. Glücklich nur in der Musik. In die war sie verliebt, leidenschaftlich und ihr Leben lang. Nicht in Ruhm oder Gagen. Nur in die Musik. Wie ich auch."

Ein Caballé-Gespräch wird rasch zum Callas-Gespräch. Über jene Frau, die sie einmal „meine Nachfolgerin" nannte, aber das wehrt sie nun ab: „Ich war, ich bin ganz anders, keine Kopie. Nie habe ich sie zu imitieren versucht." Und von ihren zahlreichen Schülern und Schützlingen - Placido Domingo gehört dazu, José Carreras - sind ihr die liebsten, „die genau zuhören, das schon, die aber ihre ganz eigene Persönlichkeit bewahren, immer sie selbstsind."

Aber da ist auch der Markt. Gnadenlos. Stempel müssen sein, Lücken im Angebot wollen gefüllt werden. Da musste denn um jeden Preis die neue Callas her, als allmählich der Glanz ums Original matter wurde. Ein Unsinn natürlich: Wer nennt, wer zählt inzwischen all die angeblichen Nachfolgerinnen der divina Maria? Vergangen, vergessen, von Moffo bis Migenes.

Die Caballé nicht. Die hat sich behauptet. Auf ihre unverwechselbare Weise. Keine Furie des Gesangs, kein vokaler Flammenwerfer. Auch keine große dramatische Darstellerin, das verhinderte schon ihre beträchtliche Körperfülle. Dafür unerreicht in ihrem unvergleichlich gehauchten Piano, das selbst noch einer Gioconda oder Lucia di Lammermoor den Anflug einer Mozart-Partie gibt. „Mozart muss man singen wie Verdi", so noch einmal, in ihrem New Yorker Meisterkursus an der St. Juillard School, die Callas.

Und hier widerspricht nun Kollegin Caballé: „Eher umgekehrt. Verdi sollte man wie Mozart singen!" Nicht schmettern, brüllen, vokale Kraftakte abliefern: „Die Grundlinie muss stimmen, die muss man den Noten ablauschen." Mozart bleibt ihr Lieblingskomponist. Und Richard Strauss, mit dessen Salome als Lieblingspart.

Eine extreme Frau, wie so viele, die schon die Caballé darstellen musste, Schicksale voller Blut und Mord und Leidenschaft. Wie sie das überstanden hätte, ohne selbst schaden zu nehmen an Humor und Lebensfreude? Sie sei Sängerin, zuckt sie mit den Achseln, nicht Schauspielerin: „Der Schauspieler muss alle Leidenschaften aus sich selbst herausholen. Für den Sänger stehen sie in den Noten." Und spätestens zu hause fällt alles Durchlittene gleich wieder ab. Beim Ehemann, mit dem sie nun schon 37 Jahre verheiratet ist, beim Sohn Barnabé, bei der Tochter und Kollegin Montserrat Marti.

Mehr am Rande treten sie im Doku-Film „Caballé. Beyond music" auf, der diese Woche in Berlin vorgestellt wird. Aber sie sind dabei, wenn am nächsten Samstag die Caballé zur Feier ihres 70. Geburtstags hinaus aufs Podium der Musikhalle am Johannes-Brahms-Platz tritt (noch sind Restkarten zu haben, doch schon ist sicherheitshalber ein zweiter Termin für den 12. November angesetzt). Dort wird sie dann mit der Tochter, dem Tenor Oscar Marin und am Flügel von Manuel Burgueras begleitet, Puccini singen und Massenet, Donizetti und Mascagnis „Ave Maria".

Ein Pop-Titel ist nicht dabei. Leider! Denn auch das gehört zur Caballé, wieder ganz anders als bei der Callas, der selbst noch Lehars „Lustige Witwe" zu „seicht" war. Die Caballé spürt solche Berührungsängste nicht. Hatte schon in den Achtzigern bei Benefiz-Veranstaltungen in den USA Stars der anderen, der „nur" unterhaltenden Kategorie wie Barbra Streisand oder Frank Sinatra kennen gelernt. Dann aber - sie hatten gemeinsam die LP zur Olympiade 1992 in Barcelona gemacht - die Begegnung mit Rock-Ikone Freddie Mercury: „Ich habe erst bei ihm so richtig erkannt, wie egal die Kategorien sind, Pop oder Klassik. Fred war einfach ein Musiker, ein Künstler. Unglaublich fleißig, ein Besessener..."

Bald nach dieser ersten, einzigen Zusammenarbeit - inzwischen sind andere mit anderen Pop-Künstlern gefolgt, bis hin zu den kessen „Prinzen" - war Mercury an Aids gestorben. Krankheit, Leid gehören auch zum eigenen Weg der Caballé. Probleme mit dem Blutzucker von Kindheit an, eine frühe Fehlgeburt, Zusammenbrüche, Krebs. Man darf sie darauf ansprechen, sie bleibt ganz ruhig: „Man soll nie aufgeben, darauf kommt es an. Man muss jeden Tag wie ein Geschenk annehmen und Gott dafür dankbar sein, statt in Selbstmitleid zu ertrinken. Aktiv bis zum letzten Atemzug. Das muss man sein, das werde ich sein. Wer sich hinsetzt und auf den Tod wartet, ist schon tot."

Und wieder schieben sich Callas-Erinnerungen ins Gespräch: „Wenn wir zusammen waren, haben wir meistens über Musik gesprochen. Aber einmal hat sie gesagt: Auf eines musst du am meisten achten. Dass an dir und deiner Karriere nicht die Familie zerbricht. Das ist das Wichtigste überhaupt." Wieder der feuchte Schimmer: „Maria hatte keine. Leider. Ich habe eine. Gott sei Dank!"

 

 





05/04/2003

05/04/2003

 

Nur sitzen und warten? Ich muss singen

 

Die Spanier nennen sie liebevoll "La Superba": die große Sopranistin Montserrat Caballé. Sie stand auf allen großen Bühnen dieser Welt. Am 12. April wird sie 70 - und feiert in Hamburg. Mit einer Geburtstagsgala.

 

Von Heike Gätjen

 

Sie lebe gern und sie lebe dick. Und sie singe. So sei es eben. Sagt sie. Ein Leben voller Musik. Das atmet, wogt und tost bei ihr aus jeder Pore. Con brio und manchmal auch verhalten pianissimo. Montserrat Caballé, die große spanische Sopranistin, wird am 12. April siebzig Jahre alt. Gefeiert wird dieser Tag mit einer Geburtstagsgala in der Hamburger Musikhalle.

Ein Leben ohne Skandale, voller glücklicher Momente, harter Arbeit, glanzvoller Erfolge. "Ein schöööönes life", sagt sie in ihrer furiosen Mischung aus Spanisch, Französisch, Englisch, Deutsch. "Aber eigentlich aberrundi, langweilig, très normale. Was soll man davon schon erzählen?" Dann tut sie es doch. Springt hin und her zwischen berühmten Weggefährten, großen Solopartien, von ihr verehrten Komponisten. Verhaspelt sich in ihrem Sprachgewirr. Verliert sich immer wieder in tosendem Gelächter. Greift zum Fächer. Luft, Luft, Luft! Sie rede einfach zu viel, sortieren könne sie das nicht.

"Wenn ich dich umarme, umarme ich Musik", hat ihr Mann zu ihr gesagt. Der spanische Tenor Barnabé Marti, mit dem sie seit 38 Jahren verheiratet ist und den sie den größten Erfolg ihres Lebens nennt. Vielleicht sollte sie vom Beginn dieser Liebe erzählen. Oder doch erst von ihrer Kindheit? Einem Zuhause ohne Geld, aber voller Liebe und Musik. Der Vater Fabrikarbeiter. Klavierunterricht vom Munde abgespart. Der Besuch des Konservatoriums nur dank eines Stipendiums möglich. Ein Zubrot als Näherin in einer Fabrik. Ein Professor, der fand, sie solle ihre Stimme ausbilden lassen. Nein, keine Berufung. "Ich habe das gemacht, weil man es mir so gesagt hat. Viel später habe ich gedacht, durch eine Karriere könnte ich ein besseres Leben haben, auch für meine Eltern und meinen älteren Bruder."

Der internationale Durchbruch 1965 in New York. Montserrat Caballé springt für die erkrankte Marilyn Horne ein. Singt die Titelrolle in Donizettis "Lucrezia Borgia." Das verwöhnte Publikum der Carnegie Hall ist hingerissen.

Ihre Stimme wird leise. Eindringlich. "Das innere Gleichgewicht dabei zu behalten, muss man lernen. Man singt nicht für fame, den Ruhm, nicht für sich. Man singt für das Publikum, für den Komponisten. Voller Respekt für ihn, sein Werk."

Auf dieser Hingabe, Demut und ihrem unprätentiösen Auftreten voller Wärme basiert ihr Erfolg. Allüren? "Habe ich welche?", fragt sie und dreht sich zu ihrer ständigen Begleiterin, ihrer Nichte Montserrat. Kopfschütteln. Nur wenn etwas gar nicht klappt, dann würde sie gehen. "Einfach so. Tschüs. Diskutieren ohne Nutzen ist verlorene Zeit."

Wie damals in Hamburg. Eine Aufnahme von "Nabucco" für die Deutsche Grammophon. "Ich sollte die Böse singen. Abigaille. Eine harte Stimme. Ich war ratlos. Rief Maria Callas an: ,Was soll ich machen?' Sie sagt: ,Abigaille, das ist eine gefährrrrliche Sache.' Sie hatte Recht. Ich habe Sinopoli 'italienischer Dirigent und Komponist' gesagt, ich kann das nicht machen. Er wollte mich überreden. Ich bin gegangen. Gott sei Dank war der Vertrag nicht unterschrieben."

Mit der Grenzüberschreitung zur Popmusik hatte die Caballé dagegen keine Probleme: 1987 an der Seite des verstorbenen Rocksängers Freddie Mercury. "Ein Freund, der mich sehr angerührt hat, als er mir beim ersten Treffen sagte, er sei HIV-positiv."

Bereits einige Jahren zuvor hatte Montserrat Caballé begonnen, die Aids Foundation der Unesco zu unterstützen. Als Madre Solores, die Lieblingslehrerin ihrer Tochter in einer Klosterschule, nach einer Bluttransfusion starb. An Aids. "Ich wollte mehr machen als Entertaining the people. Nicht nur eine Lampe sein, die auf Knopfdruck reagiert. Knips. Mund auf. Singen."

Sie engagiert sich. Singt für Krankenhäuser in Burundi und Simbabwe, für den Frieden, für Kranke, alte Menschen, für Flüchtlingskinder, die deutschen Flutopfer im letzten Jahr. Fördert Nachwuchstalente, gibt Unterricht. Jagt rund um den Globus.

Einmal nur musste sie kürzer treten. Sich auf Liederabende beschränken. Darüber spricht sie nicht gern. Ihr Fächer wird zum Schutzschild. Ihre Stimme ein Flüstern. Ein Tumor im Hirn. Ein plötzlich eng begrenztes Leben. Zwei, drei Jahre wollten ihr die New Yorker Ärzte noch geben. In Zürich und Stockholm hieß es: Abwarten. Beobachten. "Ein großer Schock." Jetzt, nach fast 18 Jahren habe sie gelernt, mit diesem gutartigen Tumor zu leben "wie mit einem guten Freund, den man ein bisschen im Auge behalten muss". Ihm, so sagt sie und lacht wieder, habe sie einige Kilo mehr zu verdanken, aber auch das Glück, morgens aufzuwachen und sich einfach nur auf den Tag zu freuen. "Wie auf ein Wunder."

Über das andere Wunder in ihrem Leben wollten wir auch noch sprechen. Richtig. Barnabé Marti. Ihr Ehemann. Sie kamen anfangs nicht zusammen. Verfehlten sich um Haaresbreite. Sie sang in Bremen, er in Düsseldorf. Den Narraboth in "Salome". Die Sängerin der Titelpartie wurde krank. Montserrat Caballé sprang ein. Aber an diesem Abend sang Barnabé in Duisburg. Geklappt hat es in Spanien bei "Butterfly", als Barnabé für den erkrankten Tenor einsprang und Montserrat mit von der Partie war. "Stellen Sie sich das vor. Wir haben uns verliebt. Auf der Bühne! Mit Musik! Sechs Monate später haben wir geheiratet. Aus Liebe. Und rápido, rápido. Wir waren beide nicht mehr jung. Ich war 30, Barnabé 34." Der Beginn eines ganz besonderen Lebens, wie ihr Mann immer wieder sagt. Schwer, aber einfach dadurch, weil beide vom selben Fach sind. Die Welt des anderen mitfühlen. Verstehen.

Ihre Tochter Monsita habe er vor diesem schweren Leben gewarnt, als sie nach einer Verletzung eine viel versprechende Karriere als Primaballerina abbrechen musste und, von Montserrat Caballés Bruder überredet, Gesang studierte. Montserrat Caballé erinnert sich an diesen Tag, als sei er gestern gewesen. Ihr Bruder hatte sie beide nach Madrid gelotst. Zum Kennenlernen einer neuen Stimme. Ahnungslos saßen sie da. Dann trat Monsita auf. "Wir hörten, dass sie eine große Stimme hat. Zum ersten Mal. Es war eine solche Überraschung. Wir haben beide geweint." Seitdem sind Mutter und Tochter häufig zusammen aufgetreten. Und es geht gut. An "Maria Padilla" von Donizetti arbeiten sie gerade, der Geschichte zweier Schwestern. Eine alt, eine jung." Großes Gelächter. "Raten Sie mal, wer die Alte ist!"

Montserrat Caballé quillt über von Plänen. Verträge bis weit über 2004 hinaus. Sieben CDs sind in Arbeit. Historische spanische Musik mit Instrumenten aus dem 17. Jahrhundert . . .

Kritiker reden von begrenzter werdender stimmlicher Vielfalt, vom "Abschied vom Legato". Schreckt sie das? In gespielter Verzweiflung reckt sie den Fächer weit in die Luft. "Nein. Warum? Was soll ich sonst machen. Sitzen und warten. Auf was? Ich muss singen. Ich kann nichts anderes."

12.4., 15.30 Uhr: "Geburtstagsgala" in der Musikhalle. Restkarten (25-75 Euro) auch in der Abendblatt-Geschäfts-stelle. Zusatzkonzert: 12.11., 20 Uhr.

12.4., 19.30 Uhr: Gala-Diner auf dem Süllberg mit Montserrat Caballé zu
Gunsten "Kinder helfen Kindern" (250 Euro pro Person, davon 150 Euro Spendenanteil mit Spenden bescheinigung), Tel. 0171/413 78 75.





April/Mai 2003 – crescendo

April/Mai 2003 – crescendo

 

 

 

Montserrat Caballé

 

Musik gehört zu mir

 

„Es gibt viele Wege in die Musik“

Die Sopranistin Montserrat Caballé – von Klemens Hippel

 

 

Frau Caballé kommt gleich zu ihnen hinunter, erklärt mir der freundliche Empfangschef im Hotel Carlton. Und macht mich damit etwas ratlos. Das Foyer ist wegen der internationalen Musikmesse MIDEM, die gerade in Cannes stattfindet, hoffnungslos überfüllt. Wo soll man hier ein Interview führen? Zum Glück findet sich noch ein Plätzchen in der eigentlich noch nicht geöffneten Bar. Und als es einmal zu laut wird im Hintergrund, bittet Frau Caballé energisch um Ruhe für mich und meinen Recorder. Nicht die einzige Überraschung, die ich in unserem Gespräch erlebe. Als ich wissen möchte, was sie als ihren größten Erfolg betrachtet, erwarte ich, von einem ihrer berühmten Auftritte zu erfahren – ihrem Durchbruch in New York, wo sie 1965 für Marilyn Horne in Donizettis Lucrezia Borgia einsprang und von dem die Zuschauer heute noch schwärmen, oder ihre legendäre Norma beim Festival in Orange 1974. Aber nein – „ein normales Leben zu haben“ ist ihre Antwort: die Balance zwischen Familie und Beruf gefunden zu haben.

 

Dass sie großen Wert darauf legt, nicht nur eine erfolgreiche Sängerin, sondern auch ein „human being“ zu sein, ist wohl der Grund dafür, dass ihr in ungewöhnlicher Weise der Spagat gelingt zwischen gefeierter Operndiva, die vor meist ausverkauften Häusern singt, und einer Frau, die für ihr Publikum auch eine Freundin sein möchte. Der Erfolg bei den Fans gibt ihr recht – keine andere Opernsängerin der Geschichte hat eine so breite Palette an Rollen auf die Bühne gebracht. Von Mozart bis Strauss, von Spontini bis Respighi reicht ihr Repertoire, von Bellini, Verdi, Puccini und Rossini ganz zu schweigen. Was sind eigentlich die wichtigsten Figuren, die sie verkörpert hat? Norma fällt ihr zuerst ein, Semiramide, die Traviata – und dann, etwas überraschend: Sieglinde und Isolde! „Ich wollte immer die Sieglinde singen. Und die Butterfly, vielleicht, weil das die Oper ist, wo ich meinen Mann kennen gelernt habe.“

 

Die bekannteste Opernsängerin überhaupt ist sie allerdings nicht nur wegen dieser Karriere, sondern auch aufgrund ihres Auftritts mit Rockstar Freddie Mercury für den Barcelona-Song zur Olympiade 1992. Ob sie es schon einmal bereut hat, diesen Abstecher ins Popgeschäft gewagt zu haben, möchte ich wissen. „Für mich war es ein Erlebnis, dass so viele junge Menschen später vom Pop und Rock zur Oper gekommen sind. Die kamen mit der Barcelona-Aufnahme, aber auch mit der Traviata und Bohème und waren begeistert und haben gesagt: „Wir haben nicht gewusst, dass die Dame, die mit Freddie so viel schreit, auch in einer Oper so amüsant sein kann.“ (lacht) „Das haben sie gesagt in Wien bei Il Viaggio a Reims! Das ist durch die Jahre so oft passiert. Es gibt so viele Wege in die Musik. Was man liebt oder nicht, das ist Geschmackssache, aber man muss es wenigstens kennen. Und wenn man etwas Neues kennen lernt, hat man sich ein neues Fenster geöffnet.“

 

Dieses Bestreben, immer wieder Neues kennen zu lernen, hat Montserrat Caballé in ihrer eigenen Arbeit stets ausgezeichnet. Neben ihrer Tätigkeit als Sängerin ist es ihr immer ein Anliegen gewesen, neues Repertoire zu erschließen. Ob gesangstechnisch schwierige Partien aus vergessenen Opern von Bellini, Rossini oder Donizetti oder Uraufführungen wie Leonardo Baladas Cristóbal Colón 1992 – immer wieder sucht sie neue Herausforderungen. Gearbeitet hat sie dabei mit allen bedeutenden Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Zeffirelli, Visconti, Ponnelle und Ronconi, Abbado, Berstein, Karajan…Gibt es da noch jemanden, der in ihrer Liste fehlt? „Ich hätte mir gewünscht, mit Furtwängler zu singen. Ach ja…Die Chance zu haben, mit so einem Genie zu arbeiten…Aber der war natürlich nicht mehr da, als ich anfing.“

 

In die Wiege war ihr der Erfolg keineswegs gelegt – ihre Gesangsausbildung konnte sie nur durch die finanzielle Unterstützung musikbegeisterter Mäzene fortsetzen. „Nach dem Krieg hatte ich eine schwere Zeit. Ich werde das nie vergessen. Das war meine beste Ausbildung. Das würde ich gerne den jungen Sängern weitergeben, dass die Karriere nicht zu einfach sein soll. Es ist gut zu kämpfen, aber mit Hoffnung für die Zukunft. Den Erfolg und das Bewusstsein, das man etwas erreicht hat, muss man sich erkämpfen.“ „Dafür hat man in unserem Beruf das Glück, dass man so viele verschiedene Kulturen kennen lernt. Die Welt ist nicht nur das, was du denkst oder fühlst. Sondern die Unterschiede machen unsere Welt so reich und schön. Und auch bei den Menschen ist das so. das muss man verstehen, damit die Menschen sich gegenseitig respektieren und solidarisch sind. Die Welt ohne Verschiedenheit wäre schwer erträglich. Die Musik auch.“

 

Bei dieser positiven Sicht ihres Berufs ist es kein Wunder, dass sie sich um den Nachwuchs keine Sorgen macht. „Es gibt so viele junge Sänger, deren Karriere gerade anfängt, tolle Stimmen, große Talente – ich glaube, die Oper hat eine große Zukunft. Gerade mit den modernen Regisseuren. Die haben die Kreativität, sind so modern. Das einzige, was ich mir wünschen würde, wäre, dass sie auch Musik von heute nehmen würden statt die von vor dreihundert Jahren. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Und die Krise der Klassik? „Es gibt keine Krise“, erklärt sie bestimmt. „Ich glaube, es gibt einen Wechsel. Das ist in jeder Epoche passiert. Wenn man an den Weg vom Mittelalter bis zum Barock denkt, vom Barock in die Romantik, von der Romantik zum Verismo: da waren immer Zeiten großer Polemik. Ich glaube, wir haben jetzt so einen Moment. Und die Medien haben viel damit zu tun. Sie haben es möglich gemacht, dass wir ein Konzert oder eine Oper sehen können aus Sydney, oder New York, oder Buenos Aires.“

 

Man merkt, sie ist immer noch völlig eingespannt in die Szene. Da bleibt neben der Musik wenig Zeit. Trotzdem engagiert sie sich in verschiedenen humanitären Organisationen: „Da mache ich mit bei Reisen, wir bringen Medikamente, Schulen und Krankenhäuser in verschiedene Länder. Das ist wichtig im Leben. Ich bin nicht nur dazu da, die Menschen zu unterhalten mit meinem Gesang, es ist auch wichtig, etwas für sie zu tun.“

 

Gibt es denn auch ein privates Hobby? „Ich male, wenn ich ein wenig Zeit habe. Ich liebe das seit Jahren. Ich male sehr schlecht, aber es entspannt mich sehr, zu malen. Mit meinen Aquarellen reise ich sogar.“

 

Und ans Aufhören denkt sie gar nicht? Was zieht sie nach fast 50 Jahren noch auf die Bühne? „Ich glaube, es ist die Liebe zur Musik. Ich habe das mein ganzes Leben gemacht. Meine Eltern haben die Musik sehr geliebt, mein Mann war auch ein Sänger – ich gehöre zur Musik und die Musik gehört zu mir. Es ist etwas, was ich nicht ablegen kann. Ohne Musik wäre das Leben sehr schwer für mich.“ So wird sie auch ihren 70. Geburtstag auf der Bühne begehen. Vermutlich wieder einmal vor einem ausverkauften haus.