München, Bayerischer
Hof, Zimmer 32 bitte. Als Nächstes meldet sich eine Stimme, die das Herz von
Millionen Opernfans höher schlagen lässt. Montserrat Caballé haucht fast im für
sie so typischen Pianissimo ein „Ja“ in den Hörer. Dass sie aber auch laut und
temperamentvoll kann, hat sie im anschließenden Gespräch gezeigt - und am 14.
August gibt es den Opern-Weltstar auch in Augsburg zu hören.
Wo
haben Sie so gut Deutsch gelernt?
Montserrat Caballé:
In Deutschland, in Bremen.
Verstehen
Sie auch Dialekt?
MC: Ein bisschen. Als
ich in Basel war, habe ich ein bisschen Dialekt gelernt. Aber Hochdeutsch
verstehe ich besser.
Warum
singen Sie nicht häufiger auf Deutsch?
MC: Normalerweise
sind meine Programme nach den Veranstaltern ausgewählt. Ich singe schon auch
auf Deutsch, Brahms, Schubert, Strauss, ich liebe Schubert und Strauss sehr.
Freuen
Sie sich schon auf Augsburg?
MC: Ja, ich war sehr
oft dort. Das Publikum war immer so warm und so freundlich. Das ist etwas, das
man nicht vergisst.
Sie
haben in Ihrer langen, langen Karriere schon auf den ganz großen Bühnen dieser
Welt gestanden, jetzt kommen Sie nach Augsburg. Sie waren schon in Gersthofen,
Sie singen in Benediktbeuren, also auch auf kleinen Bühnen. Warum?
MC: Das habe ich
immer so gemacht. Das war für mich wie ein Gesetz, nicht nur für große Bühnen
und große Städte zu singen. Ich habe in meiner Karriere nie etwas als Regel
machen wollen. Daher habe ich nicht nur in der Scala gesungen, sondern auch in
kleinen Städten.
Ist
der Unterschied groß?
MC: In den kleinen
Städten freuen sich die Leute sehr, dass sie dich auch hören können. Für sie
wäre die Fahrt nach München oder Frankfurt manchmal nicht möglich. Ich finde,
man muss für alle singen.
Dankt
das Publikum Ihnen das?
MC: Ja. Sehr oft und
wunderschön.
Und
was machen Sie, wenn Sie nicht singen?
MC: Ich mache meine
Arbeit für die Vereinten Nationen, für UNICEF und die UNESCO. Ich reise in
verschiedene Länder und bringe den Menschen dort Hilfe. Das mache ich zweimal
im Monat. Es ist sehr schön, den Menschen helfen zu können.
Wenn
Sie für die Vereinten Nationen unterwegs sind, sehen Sie viel Elend und Leid.
Wie verarbeiten Sie das?
MC: Wie ich es immer
gemacht habe, seit vielen, vielen Jahren. Am Anfang war das für mich sehr
schwer. Ich komme selber aus einer ganz armen Familie. Wir haben nach dem Krieg
ganz viel gearbeitet. Die Situation in Spanien war, als ich klein war, ganz
schlecht. Es war eine schwere Periode, zu singen war ganz schwer. Und es war
eine große Anstrengung für meine Familie, weil wir kein Geld hatten. Ich habe
mir immer gedacht, wenn ich einmal singe, werde ich meiner Familie helfen, dass
sie nicht mehr hungern müssen. Ich habe nie vergessen, was es bedeutet, arm zu
sein. Als ich vor vielen Jahren in New York von UNICEF angesprochen wurde, habe
ich gesehen, wie viel man helfen kann. Da habe ich mich engagiert. Für
Flüchtlinge zum Beispiel.
Was
haben Sie dabei erlebt?
MC: Das hat mir einen
Horizont eröffnet. Ich war etwas dumm. Ich habe gedacht, dass ihre Situation so
wie damals bei uns war, als wir so wenig hatten, nichts zu essen. Aber das war
nicht so. Plötzlich habe ich gesehen, was heute los ist. Da habe ich mir
gedacht, helfen, das ist wirklich das, was ich machen
muss. Das Gefühl vor allem, dass du nicht nur eine Marionette bist, um für das
Publikum zu singen. Daher habe ich mir mein ganzes Leben so organisiert. Für
beides. Singen und Helfen. Das gibt mir viel Kraft. Wirklich. Du musst das
machen, was man wirklich braucht. Und das ist nicht etwa, ein Kleid zu kaufen.
War
es schon immer klar, dass Sie Sängerin werden wollen? Oder haben Ihre Eltern
gesagt: „Montserrat, werd’ doch Krankenschwester!“
MC: Ja, das habe ich
auch gelernt. Aber nur, weil damals in Spanien die Frauen für das Land arbeiten
sollten. Männer waren drei Jahre in der Armee und Mädchen lernten mit zwölf
Jahren acht Monate lang, Leuten zu helfen. Ich habe das in einem Krankenhaus in
Barcelona getan. Bei einem Doktor mit einer sehr netten Familie, der die Musik
sehr liebte. Ich habe ihm als Krankenschwester geholfen. Das hat mich für die
Zukunft geprägt. Ja, so war das. Ich wusste nicht, dass ich Karriere machen
würde. Ich habe gedacht, wenn ich einmal singe, verdiene ich vielleicht ein
bisschen Geld, damit ich meiner Familie helfen und mein kleiner Bruder
studieren kann. So kam es auch.
Sind
Sie also ein Familienmensch?
MC: Ja, so habe ich
es von meinen Eltern gelernt. Ich könnte nichts anderes sein.
Sie
sind immer gut gelaunt, freundlich, lustig. Wie machen Sie das?
MC: Hören Sie mal,
sind Sie nicht gut gelaunt, wenn Sie morgens die Augen aufmachen und aufwachen?
Es ist eine Freude, noch da zu sein. Ich meine: Man soll das Leben genießen.
Man muss nicht immer lustig, aber immer dankbar sein. Von meinem Vater habe ich
gelernt und dafür danke ich ihm immer noch: Das Leben ist nicht dazu da, sich
zu ärgern oder andere Menschen zu kritisieren.
Wie
schaffen Sie es, so positiv zu denken?
MC: Du musst deine
Zeit im Leben nicht verlieren, du kannst vieles machen, du kannst auch viel
bekommen. Versuche, die anderen zu verstehen. Und ärgere dich nicht, wenn sie
nicht so denken wie du. Das sind so dumme Sachen, die viele Menschen machen,
das ist verschwendete Zeit. Es ist alles schön. Ich bin sehr positiv. Es kommt
für jeden ein Moment im Leben, wo er denkt: Wo bin ich, was habe ich getan? Es
ist immer schön, in den Spiegel zu sehen, ohne zu bereuen, was du gemacht hast.
Mögen
Sie eigentlich deutsches Essen?
MC (lacht): Ja,
wissen Sie, was ich besonders liebe, was ich aber eigentlich nicht essen darf,
weil ich mich vegetarisch ernähre?
Was?
MC (lacht):
Leberwurst. Das ist eine Spezialität. Das ist das Einzige, das ich mir erlaube.
Da
werden Sie also schwach?
MC: Ja.
Wenn
man heutzutage Operndiven sieht, die sind ja gertenschlank. Haben Sie schon mal
überlegt, für eine Rolle abzunehmen?
MC: Nein, leider kann
ich das nicht. Ich habe es versucht, aber ich hatte vor Jahren eine Krankheit.
Es hat mir sehr geholfen, mich vegetarisch zu ernähren. Das ist eine gute
Ernährung mit vielen Vitaminen. Schlank zu werden war für mich verboten.
Leider.
Ihre
Fans mögen Sie so, wie sie sind.
MC: Ja, das weiß ich.
Das ist ein Wunder (lacht laut). Das darf nicht wahr sein.
Kleine
indiskrete Frage noch zum Schluss: Singen Sie eigentlich auch unter der Dusche?
MC: Nein. Naja, doch,
ab und zu. So mm-mmmmmmh-mmmh-mmmh (lacht).
Stimmübungen
also.
MC: Ja. Normalerweise
stehe ich morgens unter der Dusche, um mich aufzuwecken. Und ab und zu singe
ich auch, aber nur, wenn es niemand hört.
30/07/2008
Karriere
macht man nicht mit der Figur
Montserrat
Caballé tritt bei „Diva Maxima“ auf dem Dresdner Theaterplatz auf
Publikum
und Kritik bezeichnen sie als Diva, als „prima donna assoluta“ – was sie
übrigens gar nicht mag. Am Wochenende gibt Montserrat Caballé in Dresden
gemeinsam mit Angelika Milster und Milva das Konzert „Diva Maxima“. Im Vorfeld
hatte Plusz Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihr über ihr Leben und ihre
Karriere.
Wie wichtig
ist heute im massenmedialen Zeitalter die äußere Erscheinung einer Sängerin
geworden?
Die
jungen Kolleginnen, die heute auf der Bühne stehen und mit ihrer Arbeit Erfolg
haben, besitzen auch eine Stimme! Sonst würden Sie nicht so berühmt sein. Wenn
sie dazu noch schön sind und schlank, freuen sich die Leute. Aber Karriere hat
man noch zu keiner Zeit mit der Figur gemacht, sondern nur mit seiner Stimme
und seiner Musikalität. Was heute allerdings fehlt, ist eine gute, lange
Vorbereitung für die Sängerkarriere. Diese jungen Sänger denken, nach einer
fünfjährigen Ausbildung könne man sofort loslegen. Viele Stimmen sind
fantastisch – aber oft fehlt die richtige Technik.
Als Sie
ganz jung waren, begannen Sie Ihre Ausbildung mit der Erarbeitung von
Bach-Kantaten. Heute haben Sie ein Riesen-Opernrepertoire...
Meine
Lehrerin Eugenia Kemmeny befand damals, Bach sei nun mal der beste
Ausgangspunkt für jede Sängerin, um in die Klassik hineinzugehen. Langsam haben
wir dann den Radius erweitert um Haydn, Beethoven, Mozart ... Inzwischen
befinden sich ungefähr 150 Partien in meinem Repertoire, wenn man alle
Oratorien und Kantaten mitrechnet, die ich in meinem Leben einstudiert habe.
Dieses
unfehlbare Stilempfinden – wurde es Ihnen in die Wiege gelegt oder handelt es
sich da um das Ergebnis lebenslanger Studien?
Ich habe
schließlich zwölf Jahre lang studiert, um mich sicher in allen musikalischen
Genres und Epochen fühlen zu können. Allerdings fühle ich mich keineswegs als
Spezialistin irgendeiner bestimmten Periode. Man muss natürlich schon ganz
genau wissen, was in der jeweiligen Partitur steht und worin die Unterschiede
in den jeweiligen Musikstilen zu sehen sind. Sie müssen wissen, welcher
Komponist gibt Ihnen alle Freiheiten der Welt, wo müssen Sie sich dagegen an
die genauen Metronomvorgaben halten? Kleines Beispiel: Bei Richard Strauss darf
ich ein Portamento singen, bei Mozart käme so etwas nie in Frage.
Sängern
wie Carreras nehmen Opernfreunde nicht selten seine Ausflüge in die Popmusik
sehr übel. Ihre Fans dagegen sehen Ihre Experimentierfreude in dieser Hinsicht
da eher gelassen.
Ich
möchte hier mal ganz klar sagen: Ich mache keineswegs Experimente, wenn ich
einmal etwas anderes als Oper singe und wenn ich mit der a-cappella-Gruppe Die
Prinzen musiziere oder bei einem Projekt mit vertonten Texten Rainer Maria
Rilkes mit Mario Adorf zusammenarbeite. Es gibt für mich keine Apartheit in der
Musik. Ich lehne auch jede Einteilung von E-Musik als „gute Musik“ und U-Musik
als „schlechte Musik“ ab! Jeder Musiker gibt schließlich sein Bestes.
Die
Olympiahymne „Barcelona“, die Sie gemeinsam mit Freddie Mercury 1988 aufnahmen,
wurde zu einem der größten Pophits aller Zeiten. Wie verlief diese
Zusammenarbeit?
Als ich
zum ersten Mal ein paar Titel der Gruppe Queen hörte, merkte ich: Das ist ja
Musik und kein Lärm! Ich hatte bis dahin immer gedacht, dass Leute, die Pop
oder Rock singen, keine Noten lesen könnten. Freddie Mercury allerdings spielte
hervorragend Klavier und hatte einen hervorragenden Bariton. Er liebte Chopin.
Ich fragte ihn, warum singen wir kein klassisches Duett, ich als Sopran und Du
als Bariton? Er sagte, bloß nicht. Meine Fans würden mich erschlagen! Als
Mensch war er eine große Persönlichkeit, die unglaublich viel für bedürftige
Menschen übrig hatte. Vielleicht, weil seine Eltern aus ganz armen
Verhältnissen aus Indien stammten. Wenn man ihn und seine Familie allerdings in
seinem Haus besuchte, dann bemerkte man schon seine indischen Wurzeln. Freddie
war eine tolle Person. Ich habe die angenehmsten Erinnerungen an ihn!
Sie
traten in den letzten Jahren oft gemeinsam mit Ihrer Tochter Montserrat Marti
auf.
Ab und
zu geben wir noch gemeinsam Konzerte. Im Moment verfolgt sie ihre Solokarriere.
Ich finde es besonders schön, dass sie auch gerne Konzerte gibt. Das habe ich
vom Beginn meiner Karriere an auch so gehalten. Meine Lehrerin erklärte mir
damals, nach drei Monaten Oper einen Liederabend zu geben, sei wie Balsam für
die Stimme!
Wie
haben Sie es früher eigentlich geschafft, Kinder und Karriere unter einen Hut
zu bringen?
Meine
beiden Kinder lebten, als sie noch kleiner waren, bei meinen Eltern in
Barcelona. Denn ich war damals sechs Jahre in Deutschland engagiert und lebte
danach sechsundzwanzig Jahre lang in New York. Heute wohnen wir in Andorra.
Warum
ausgerechnet Andorra?
Dass
sich ausgerechnet in Andorra unser Lebensmittelpunkt befindet, soll ein
Dankeschön meiner Familie an jenen Staat sein, der meinem Vater und dem Bruder
meiner Mutter im Krieg Asyl gewährte und ihnen dadurch damals das Leben
gerettet hat. Deshalb ist meine Familie heute noch Andorra so sehr verbunden.
Und deshalb habe ich auch den Gesangswettbewerb, der meinen Namen trägt, in
Andorra gegründet.
Ihr Mann
soll Ihretwegen seine eigene Karriere als Tenor aufgegeben haben?
Wo haben
Sie denn das gelesen? Mein Mann hatte eine große Karriere in Amerika gemacht.
1977 erlitt er einen Herzinfarkt in San Francisco. Er ist wieder gesund – aber
er singt seitdem nicht mehr, sondern kümmert sich ums Haus und unsere Farm in
Andorra. Und große Reisen macht er auch nicht mehr.
Sie
dagegen genießen Reisen und Hotelleben sehr...
Ach,
wissen Sie, ich bin sehr dankbar, dass die Leute sich so rührend um mein Wohl
sorgen. Aber ehrlich gesagt, ein kleines Zimmer direkt am Lift ist mir heute
lieber als eine große Suite am Ende des Korridors.
Angesichts
Ihres Terminkalenders stellt sich die Frage: Gönnen Sie sich eigentlich
manchmal Ferien?
Richtige
Ferien, die einen Monat oder noch länger dauern, kenne ich eigentlich nicht.
Ferien gab es für mich immer nur dann, wenn ich in die Klinik musste. Ich habe
sehr viele Krankheiten durchgemacht. Danach gab es immer Zwangspausen für mich.
Wenn ich es mir recht überlege... die schönen Momente mit der Familie sind
eigentlich immer diejenigen gewesen, wenn ich mich nach irgendwelchen
Krankheiten zu Hause erholen musste.
Für Ihre
Benefizkonzerte wurden Sie vielfach geehrt: Orden, Ehrendoktorwürden, Blumen
werden nach Ihnen benannt, Briefmarken mit Ihrem Foto gedruckt. Können Sie auch
nein sagen, wenn die Anfragen zu Benefizkonzerten überhandnehmen?
Nein,
ich kann schlecht nein sagen. Meine Familie war sehr arm, als ich Kind war. Wir
haben damals das große Glück gehabt, auf Menschen zu treffen, die uns halfen.
Wenn man selbst erlebt hat, wie es ist, um Brot zu betteln, eröffnen sich ganz
neue Dimensionen dessen, was wirklich wichtig ist. Deshalb denke ich, wenn man
etwas für die Menschen tun kann, muss man es tun! Das Leben besteht nicht nur
aus Glamour und Erfolg und verkauften CDs. Die schönste Sache ist deshalb auch
für mich neben meiner Familie die Option, anderen Menschen durch meinen Gesang
zu helfen.
Seit
mehr als 40 Jahren stehen Sie auf der Opern- und Konzertbühne. Kann man
eigentlich süchtig nach Applaus werden?
Ich
glaube nicht. Vielleicht, wenn man nichts anderes auf der Welt hat. Bei mir
besteht diese Gefahr nicht: Ich habe meine große Familie! Bühne ist mein Beruf,
nicht weniger und nicht mehr
Super-Illu - 23/07/2008
Super-Illu
- 23/07/2008
»Möchte keine Diva sein«
Sie
gilt als eine der herausragendsten Opernstimmem der Welt. Am 2. August tritt
Montserrat Caballé gemeinsam mit Milva und Angelika Milster auf dem Dresdener
Theaterplatz auf. Mit SUPERillu sprach die Spanierin über Diven,
Mentholzigaretten und das Gerücht, das sie Gläser "zersingen“ könne.
Sie
treten gemeinsam mit Milva und Angelika Milster auf dem Dresdener Theaterplatz
auf. Wie kam es zu dieser eher ungewöhnlichen Zusammenarbeit? Wer von Ihnen
hatte die Idee?
Der Veranstalter
Grand City Events mit Geschäftsführer Jochen Reichel hatte die Idee. Ich
übernehme den klassischen Part des Abends. Angelika Milster singt Musicals.
Milva Chansons. Eine schöne Mischung. Zum Finale singen wir gemeinsam ein
Edith-Piaf-Medley.
Kennen
Sie Ihre Kolleginnen denn?
Nur Milva. Wir haben
uns vor einigen Jahren in Italien kennen gelernt.
Freuen
Sie sich auf Dresden?
Ja sehr. Ich habe
schon drei Mal auf dem Theaterplatz gesungen. Das war immer sehr sehr schön.
Dresden ist eine wunderbare Stadt. Und in dieser wunderbaren Kulisse singen zu
dürfen ist fantastisch.
Haben
Sie auch schon in der Semperoper gesungen?
Ja. Da wurde mir auch
schon ein Preis verliehen.
Der
Abend steht unter dem Motto »Diva Maxima« (»Die größte Diva«)
...
Das hab ich mir nicht
ausgesucht. Das hat der Veranstalter entschieden.
Das
heißt, man kann Ihnen mit dem Titel Diva nicht schmeicheln?
Nein. Ich bin einfach
eine professionelle Sängerin für Oper und Klassik. Das, nicht mehr und nicht
weniger, bin ich immer gewesen und werde es weiterhin sein. Wie die anderen
mich betiteln, das kann ich nicht beeinflussen. Ich habe aber nie akzeptiert, wenn
mich die Leute Diva nennen. Mir bedeutet dieser Titel nichts – ich will nur
eine gute Arbeit machen.
Komisch,
aber Opernsängerinnen werden oft als Diven bezeichnet...
Stimmt. Offenbar
lieben das Publikum und die Journalisten diesen Titel sehr und auch die
Attribute, die man ihm zuschreibt.
Wir
unterhalten uns hier problemlos in Deutsch. Wieso beherrschen Sie eigentlich
die Sprache so gut?
Ich habe meine
Karriere in Deutschland begonnen – in Bremen. Und natürlich muss man die
Sprache von dem Land beherrschen, in dem man lebt. Ich habe ja auch viel in
Deutsch gesungen – Strauss, Mozart. Und damals hat man ja viele Opern in
Deutsch gesungen, wie »Madame Butterfly«, »La Bohème«. Heute singt man wieder
mehr das Original.
Hatten
Sie vor dem Mauerfall schon Auftritte in der damaligen DDR?
Ja. Ich war in
Leipzig, Rostock und auch Dresden. Ich wurde da immer sehr warmherzig
empfangen. Einen Unterschied zwischen ostdeutschem und westdeutschem Publikum
hab ich aber nie gespürt. Die Liebe zur Musik ist überall die Gleiche. Leider
hatte ich nie viel Zeit, mir die Städte näher anzuschauen. Ich bin zur Probe,
zur Vorstellung und wieder weg. Da konnte man nicht viel mitbekommen.
Vor
über 20 Jahren haben Sie mit Freddie Mercury das legendäre Album »Barcelona«
aufgenommen. Mit welchem Rock- oder Pop-Künstler würden Sie heute gern noch mal
zusammen arbeiten?
Ach, es gibt so
viele... Elton John hat mir ein paar Mal das Angebot gemacht, zusammen zu
arbeiten. Leider hatte ich nie Zeit. Aber mit ihm hätte ich mir das gut vorstellen
können. Vielleicht klappt’s ja noch mal.
Sie
sind jetzt 75 und stehen schon 52 Jahre auf der Bühne...
Und ich mach es immer
noch gern. Und solange ich es kann, höre ich auch nicht auf. Aber ich arbeite
auch für die UNESCO. Das ist für mich noch wichtiger als zu singen und Leute zu
amüsieren.
Die
ganze Zeit umherzureisen und aus dem Koffer zu leben, strengt das nicht an?
Für mich gehört
Reisen zum Beruf. Nach über 50 Jahren ist das ganz normal. Innerhalb Europas
macht mir das auch nichts aus. Was mich manchmal verwirrt ist, wenn ich von
Kontinent zu Kontinent reise. Das ist anstrengend, weil man sich immer an eine
völlig neue Kultur und die Zeitumstellung gewöhnen muss. Aber manchmal
begleitet mich auch meine Familie. Das macht es bedeutend schöner.
Wie
pflegen Sie Ihre Stimme?
Ganz normal. Wie Sie
auch. Ich trinke Kaffee, Orangensaft, Wasser. Nur wenn ich krank bin, gurgele
ich und trinke eine heiße Zitrone.
Singen
Sie eigentlich jeden Tag?
Ja. Jeden Tag ein
bisschen. Etwa 15 Minuten. Egal ob ich daheim oder auf Reisen bin. Wie ein
Pianist, der muss ja auch täglich üben.
Sie
hatten in all den Jahren viele gesundheitliche Probleme (Anm. d. Red.: Sie
hatte Herz- und Darmprobleme. Und lebt seit über 20 Jahren mit einem Tumor im
Kopf) – haben sich aber immer wieder hochgeboxt. Woher haben Sie die Kraft
genommen?
Was passiert ist, ist
passiert. Da denke ich nicht mehr dran. Ich richte all meine Kraft und meinen
Mut immer nur nach vorn. Mein Glaube hilft mir dabei sehr. Ich bin katholisch.
Und auch meine Arbeit als UNESCO-Botschafterin treibt mich an. Dabei sehe ich,
wie schlecht es anderen geht. Da hab ich keinen Grund, zu jammern.
Ihre
Tochter ist in Ihre Fußstapfen getreten und singt auch seit zehn Jahren…
Ja, sie war erst
Ballerina. Dann hat sie sich verletzt und konnte nicht weitermachen. Mein
Bruder Carlos hat ihr Gesangstalent dann entdeckt. 1989 hat sie in der
Staatsoper Hamburg ihr Debüt gegeben. Manchmal singen wir auch zusammen. Aber
nicht so oft.
Werden
Sie und Ihre Tochter oft miteinander verglichen?
Nein. Sie hat eine
eigene Persönlichkeit, einen eigenen Klang in der Stimme und eine eigene Art
der Interpretation. Gott sei Dank! Jeder muss seine eigenen Markenzeichen
haben. Sie will auch gar keine Kopie von mir sein.
Fono Forum – April 2008
Fono
Forum – April 2008
Magie der leisen Töne
Seit über einem
halben Jahrhundert begeistert Montserrat Caballé ihr Publikum mit zauberischen
Pianissimo-Tönen. Am 12. April feiert die sympathische Sopranistin nun ihren
75. Geburtstag – und denkt langsam ans Aufhören. Bjørn Woll traf sie nach einem
Konzert in der Münchner Philharmonie.
Frau
Caballé, bei Frauen spricht man normalerweise nicht über das Alter. Bei Ihnen
möchte ich allerdings gerne eine Ausnahme machen. Sie feiern in diesem Jahr ihren
75. Geburtstag – und stehen immer noch erfolgreich auf der Bühne. Hätten Sie
damit am Anfang Ihrer Karriere gerechnet?
Niemals. Und es
überrascht mich jedesmal aufs Neue, dass man mich immer noch sehen will und die
Säle immer noch voll sind. Außerdem habe ich mein Alter nie verheimlicht – es
ist eben, wie es ist.
Was
kann man tun, damit die Stimme nach so langer Zeit immer noch funktioniert?
Wenig singen. (lacht) Wie andere ihre Morgengymnastik
machen, mache ich nach dem Aufstehen meine Atemgymnastik. Und ab und zu übe ich
ein wenig, wenn ich Zeit und Lust habe. Das ist alles.
Bereits
im letzten Jahr haben Sie Ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert. Wie kamen
Sie überhaupt zum Gesang?
Zur Musik hatte ich
von Anfang an eine Beziehung, weil meine Eltern selber sehr musikalisch waren.
Zu Hause gab es immer Musik: Bach, Beethoven, Haydn, Mendelssohn. Von meiner
Mutter lernte ich außerdem Klavier spielen. Als ich acht Jahre alt war, hat sie
mich dann am Konservatorium in Barcelona angemeldet, an dem auch Victoria de
los Angeles und Maria Barrientos studiert hatten.
Ihre
erste Gesangslehrerin dort war die Ungarin Eugenia Kemeny. Was haben Sie bei
ihr gelernt?
Vor allem die
Atemtechnik. In ihrer Heimat war sieLeichtathletin gewesen und hatte sogar eine Goldmedaille gewonnen. Und
gleichzeitig war sie dramatischer Sopran, unter anderem in Bayreuth. Mir hat
das sehr geholfen, denn wenn du das Atmen richtig beherrscht, wenn du deinen
ganzen Körper kennst, weißt du genau, wie du deine Muskulatur einsetzen musst.
Ist
diese perfekte Atemtechnik auch die Grundlage Ihrer Piano-Töne, für die Sie
berühmt sind?
So ist es.
Ein
Kritiker hat Ihr Piano einmal mit dem von Zinka Milanov verglichen. Kannten Sie
denn Aufnahmen von ihr?
Ich kannte zwar den
Namen, aber ihre Platten hatte ich vorher noch nie gehört. Inspiriert wurde ich
vielmehr von einem spanischen Tenor, Miguel Fleta, der ein wunderbares
Pianissimo hatte. Mein Vater liebte ihn sehr, und er sagte zu mir: „Wenn du
eines Tages so singen könntest!“ Ich habe es dann gleich versucht, und er
meinte: „Jaja, fast wie Miguel Fleta.“ (lacht)
Gab
es denn andere Sänger, deren Platten Sie gehört haben?
Während meines
Studiums war Victoria de los Angeles mein Idol. Sie hatte eine fantastische
Farbe in der Stimme, so ganz innerlich. Und sie hatte eine perfekte Diktion in
französischen Rollen wie zum Beispiel in Massenets „Manon“. Dann hat mir auch
Gianna d’Angelo gefallen – sie sang wirklich wie ein Engel. Und natürlich Maria
Callas. Sie war eine Meisterin der Interpretation – im Klang, im Ton. Bei ihr
ist wirklich jede Passage eine Lektion in Sachen Gesang. Wenn sie ein Rezitativ
singt, dann weißt du, was ein Rezitativ ist. Nicht nur die Noten oder die Tempi
– jede Sache, die sie singt, ist richtig.
Von
einem ersten Engagement in Florenz sind Sie über Stuttgart nach Basel gelangt,
wo Sie drei Jahre lang angestellt waren. Wie haben Sie diese Lehrjahre erlebt?
Das erste Jahr war
fantastisch: Mimì, Pamina und Tosca; im zweiten dann Aida, Salomé und Mozarts
Elvira. Und das dritte Jahr erst – das waren schon ganz schön viele neue
Partien!
Was
dachten Sie denn, was für ein Stimmtyp Sie seien, bei all den verschiedenen
Rollen?
Ich habe immer
gesagt, ich wäre ein lyrischer Sopran, und das hat sich bis heute nicht
geändert. Wobei ich nach den drei Jahren in Basel schon ein unglaubliches Repertoire
hatte – und dann kam das Engagement in Bremen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich drei
Offerten: Bremen, Hannover und Wien. In Wien hätte ich nur selten die
Möglichkeit gehabt, in großen Rollen aufzutreten, und in Hannover wollt man
mich für die Senta im „Fliegenden Holländer“, was viel zu dramatisch für mich
war. In Bremen bot man mir hingegen „Ariodante“, „La Traviata“ und „Butterfly“
an. Ich bin also nach Basel zurückgefahren und habe mit meinen Eltern und
meinem Bruder gesprochen. Dieser sagte damals zu mir: „Montserrat, ich wünsche
mir, dass du die Traviata singst. Davon habe ich immer geträumt.“ Damit war es
entschieden. Als ich nach drei Jahren aus Bremen wegging, hatte ich bereits 42
Partien auf der Bühne gesungen. Wenn ich zurückdenke, weiß ich nicht, wie ich
das durchgehalten habe. Es war so viel Arbeit, und ich begann die Lust am
Singen zu verlieren. Als man mir eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre anbot,
habe ich daher abgelehnt.
Wie
ging es danach weiter?
Erst wollte ich nach
Spanien zurückgehen, um etwas ganz anderes zu machen. Doch mein Bruder sagte:“Nein!
Gib mir ein Jahr. Lass mich dein Sekretär sein. Und wenn ich in diesem Jahr
nichts bekomme, was dir Freude an der Arbeit zurückbringt, kannst du aufhören.“
Er hat Tausende von Briefen geschrieben, und es kamen Verträge aus Mexico, aus
Buenos Aires, aus Spanien, aus Frankreich und, und, und. Da bin ich plötzlich
aufgewacht und hatte wieder diese Euphorie aus meiner Zeit in Basel.
Den
endgültigen Durchbruch hatten Sie dann als Einspringerin für Marilyn Horne in „Lucrezia
Borgia“. Ein Repertoire, das Sie bis dato noch nie gesungen hatten.
Ja, ich hatte vorher
noch nie Belcanto gesungen. Daher habe ich am Anfang auch abgelehnt. Doch dann
kam der Dirigent Carlo Felice Cillario, mit dem ich schon öfters
zusammengearbeitet hatte, und sagte:“Belcanto bedeutet nur, schön zu singen –
nichts anderes.“
Hat
er Recht damit?
Erst war ich selber
skeptisch und habe gesagt:“ Carlo, wie soll ich dieses ganze Kikeriki schaffen,
diese Tessitura?“ Er sagte:“Bring mir die Partitur von ‚Cosí fan tutte’“, und
ich habe sie ihm gebracht. „Sing mir die Arie ‚Come scoglio’“, sagte er dann,
und ich sang die Arie. Das fiel mir nicht schwer, da ich die Oper schon oft
gesungen hatte. „Und jetzt versuch die Koloraturen der Lucrezia“, forderte er
mich auf. Nachdem ich es versucht hatte, sagte er: „Nein, nein, nicht so. So
wie du die Koloraturen der Fiordiligi machst. Mach das Gleiche, aber statt drei
sind es vier Schläge.“ „Aber ich kann doch nicht Donizetti à la Mozart singen“,
erwiderte ich ihm. „Doch, doch. Du machst es à la Mozart, und es wird sehr
schön“, war seine Antwort. In New York fragte man mich dann während der Probe,
wie lange ich schon Belcanto studiert hätte. (lacht) Am nächsten Tag schrieben die Zeitungen: „Caballé – die Belcanto-Spezialistin“.
Dabei habe ich die ganze Zeit an Mozart gedacht.
In
Folge dieses Auftrittes wurden Sie fast nur noch für Belcanto-Opern engagiert.
Waren Sie glücklich mit diesem Repertoire?
Sehr. Aber mit Mitte
dreißig hatte ich genug davon. Ich wollte wieder etwas anderes singen, nicht
immer nur „Maria Stuarda“, „Roberto Devereux“ und „Norma“. Ich sagte: „Bitte,
gebt mir einen Verdi, sonst werde die Leute in Italien denken, ich kann nur
Belcanto singen.“ Es ist schon komisch: Nachdem ich diese Belcanto-Karriere
begonnen hatte, hat man mich nicht mehr für andere Sachen engagiert.
Nicht
Belcanto, sondern eine ganz andere Art von Musik haben Sie mit dem „Queen“-Sänger
Freddie Mercury gesungen. Wer hatte die Idee zu diesem außergewöhnlichen
Projekt?
Die kam vom
Bürgermeister von Barcelona. Als damals in Lausanne der Austragungsort für die
Olympischen Spiele von 1992 verkündet wurde, war ich dabei. Nachdem Barcelona
als Sieger feststand, sagte der Bürgermeister zu mir: „Du musst etwas singen,
aber keine Oper. Du singst etwas für die Jugend, so dass sie in unsere Stadt
kommen.“ Mein Bruder hatte dann die Idee, mit Freddie zu sprechen, weil Freddie
die Oper sehr liebte und oft im Publikum saß, wenn ich sang. Er ist also nach
Barcelona gekommen und hat ein bisschen improvisiert. Kurze Zeit später hatte
er schon ein Demo-Band von dem Song fertig – und jedem hat er auf Anhieb
gefallen.
Gibt
es nach einer derart langen und erfolgreichen Karriere auch noch einen
unerfüllten Wunsch?
Ich würde gerne noch
Donizettis „Maria Padilla“ singen, gemeinsam mit meiner Tochter. In der Oper
gibt es zwei Soprane, und beide sind Feinde. Das verspricht ein großer Spaß zu
werden. Bei Ricordi wird gerade an der Edition der Urfassung gearbeitet, und
ich hoffe, dass wir das Stück Ende 2008 oder 2009 auf die Bühne bringen können.
Das wird dann wohl auch einer meiner letzten Auftritte auf der Opernbühne sein.
Nicht
nur Ihre Tochter singt ja, sondern auch Ihr Mann, der Tenor ist. Singen Sie
denn auch schon einmal spontan zu Hause?
Ab und zu, wenn niemand
da ist. (lacht) Außerdem versuche
ich, meinen Mann zu überzeugen, dass wir zusammen mit unserer Tochter eine
Platte aufnehmen. Sozusagen ein musikalisches Fotoalbum für unseren Sohn und
den Rest der Familie.
Señora
Caballé, haben Sie in diesem Jahr schon ein Interview gegeben, das nicht mit
einer Frage begonnen hat, die sich auf Ihr Alter bezog?
Vielleicht war eines
dabei, aber die meisten wollen wirklich zuerst über dieses Thema sprechen. Ich
habe mich daran gewöhnt.
Kein
Wunder - Sie werden 75 Jahre alt und sind immer noch eine vielbeschäftigte
Opernsängerin. Haben Sie ein Geheimrezept, mit dem Sie Ihre Stimme
konservieren?
Nein, so etwas gibt
es, glaube ich, nicht. Aber es gibt Sänger, die in höherem Alter als ich auf
der Bühne standen, wie zum Beispiel Alfredo Kraus.
Man
sieht Sie hin und wieder mit einer Mentholzigarette. Hält das die Stimme
frisch?
Ich rauche sie nur
während der Zeit des Pollenflugs, denn ich bin Allergikerin. Als ich 1965 beim Glyndebourne
Festival in England gesungen habe, dachte ich, ich wäre erkältet. Aber ein Arzt
dort erkannte, dass ich eine Allergie hatte. Eine Kollege von ihm in Barcelona
riet mir dann: Entweder etwas Alkohol auf ein Tuch geben und durchatmen oder
den Rauch einer Mentholzigarette durch die Nase ausatmen. Alkohol in dieser
Form ist nicht überall leicht zu bekommen, die Zigaretten schon. Wir haben ja
gerade die Zeit für die Allergien, ich spüre, dass das langsam wieder los geht.
Sie
sind nicht durch schnelle, hohe oder laute Töne berühmt geworden, sondern in
erster Linie durch Ihre leisen. Tut es Ihrer Stimme gut, pianissimo zu singen?
Darum ging es mir
nie. Meine Gesangslehrerin hat mir beigebracht, dem zu folgen, was der
Komponist will. Am Anfang musste ich vielen Leuten erst die Partitur zeigen und
das dreifache Pianissimo dort, sie hätten mir sonst
nicht geglaubt, dass man bestimmte Passagen so leise singen muss. Ein Forte ist
einfacher zu singen, aber Gott hat mich beschenkt mit der Gabe der
Leichtigkeit. Laute Töne hat jeder, mehr Mut aber braucht man für das Leise.
Opernfreunde
schätzen Ihr Pianissimo, der breiten Öffentlichkeit sind Sie aber durch Ihre
Duette mit Freddie Mercury bekannt geworden. Wo haben Sie den Sänger von Queen
kennen gelernt?
Er war ein Fan von
mir, er kam immer, wenn ich im königlichen Opernhaus Covent Garden oder an der
Metropolitan Opera in New York gesungen habe. Als er jung war, hatte er selbst
Unterricht als Bariton. Auch später ging er noch oft in die Oper. Er liebte
Tschaikowsky. Unser gemeinsamer Auftritt war übrigens die Idee des
Bürgermeisters von Barcelona.
Zwei
Primadonnen auf einer Bühne, wie konnte das gut gehen?
Sie wissen, was
"prima" im Spanischen bedeutet? Schlank! Also stand nur eine
Primadonna auf der Bühne. Die andere war eher "heavy".
Ihr
Mann ist klassischer Tenor, Ihre Tochter Sopranistin, dennoch haben Sie alle
Schallplatten von Queen im Regal. In welcher Lautstärke hört man bei Caballés
diese Musik?
Ganz leise. Ich höre
jede Musik leise.
Maria
Callas ist nur zehn Jahre vor Ihnen geboren, doch sie ist bereits Legende und
Historie, Sie aber sind Gegenwart. Irritiert Sie das manchmal?
Nun, die Callas ist ganz jung gestorben. Als ich in den 1960ern angefangen
habe, hatte sie sich schon weitgehend zurückgezogen von der Bühne. Und damit
gehört sie dann eben doch zu einer anderen Ära. Anders war es bei Renata
Tebaldi: Sie hat noch gesungen, als meine internationalen Karriere 1965 begann,
wir waren zur gleichen Zeit an der Metropolitan Opera. Es ist zwar eine Ehre,
mit diesen Legenden verglichen zu werden, aber man sollte es nicht tun. Es war
doch eine ganz andere Zeit.
Sie
wollten 1963 nach drei Jahren als Ensemblemitglied am Opernhaus in Bremen
aufhören mit dem Singen - warum?
In Bremen litt ich an
einer großen Depression, und auch an einer Anämie - man fütterte mich deshalb
mit Leber und Äpfeln, das sollte helfen. Ich dachte, ich könne nicht weiter
singen, ich sei zu schwach. Eine Aufführung von "Madame Butterfly"
hat mich damals derart erschöpft, dass ich mich am nächsten Tag wie eine
ausgequetschte Zitrone fühlte. Mir fehlte einfach die Kraft. Mein Bruder Carlos
machte mir schließlich Mut, verordnete mir Ruhe, baute mich wieder auf.
Zum
Geburtstag können Sie sich zum Schluss noch eine Frage wünschen, die Ihnen noch
nie gestellt wurde in einem Interview. Gibt es die?
Es wäre auf jeden
Fall eine Frage nach meiner Familie. Denn ich habe mir immer eine große Familie
gewünscht, acht Kinder. Nach meinen beiden Geburten, einem Mädchen und einem
Jungen, konnte ich aber aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder mehr bekommen
- was ich bis heute so sehr bedaure. Lachen Sie nicht, aber ich würde gerne
noch ein Kind bekommen.
Opernwelt – 4/2008
Opernglas
– 4/2008
Ein grosses Geschenk
Unverwechselbar in
Stimme und Persönlichkeit: Anlässlich ihres bevorstehenden 75. Geburtstag im
April sprach Montserrat Caballé mit unserem Mitarbeiter Johannes Schmitz.
Frau
Caballé, Sie werden in diesem Monat 75 Jahre alt. Nicht jede Sängerin kann oder
will in dem Alter noch singen und auftreten, sondern genießt längst den
wohlverdienten Ruhestand. Was ist Ihre Motivation?
Ich kann nicht zu
Hause sitzen und nichts machen. Und mir gefällt mein Beruf. Die Musik hat mich
mein ganzes Leben lang begleitet; ich liebe sie sehr. Und das Publikum liebt
mich auch. Ich sehe nicht ein, warum ich mit 75 nicht mehr arbeiten sollte.
Wir
sind natürlich dankbar, dass Sie weiterhin auftreten. Aber erlauben Sie mir ein
Gedankenspiel: Sie haben relativ „normal“ angefangen in Bremen, Basel,
Saarbrücken. Angenommen, Sie hätten danach nicht diese Weltkarriere gemacht.
Glauben Sie, dass Ihre Liebe zur Musik in gleicher Weise Fortbestand gehabt hätte,
dass Sie auch dann ihr ganzes Leben lang gesungen hätten?
Wissen Sie, ich habe
angefangen, die Musik zu lieben, als ich ganz klein war. Denn auch meine Eltern
liebten die Musik sehr. Meine Mutter hat Klavier gespielt und mir die Noten
beigebracht. Mit acht Jahren ging ich ans Konservatorium. Irgendwann hat man
mir gesagt, ich hätte einen Klang und ich sollte mit einem Lehrer an meiner
Stimme arbeiten. Das habe ich dann auch gemacht und bin schließlich Sängerin
geworden. Als ich mit meinem Studium fertig war, bekam ich mein erstes
Engagement in Basel, dann in Bremen. Und durch die Bühnenpraxis, die ich dort
gewonnen habe, war ich in der Lage etwa bei den Festspielen in Lausanne und
Glyndebourne zu gastieren. So bin ich langsam in den Beruf gekommen.
Dann kam die
Möglichkeit in New York zu singen, und plötzlich begann die Entwicklung der
Karriere. Aber das hat nichts damit zu tun, ob ich weiter gesungen hätte.
Entweder man liebt eine Sache oder man liebt sie nicht. Entweder man singt mit
Freude oder ohne. Aber ohne Freude kann man einen Beruf nicht machen.
Es
gehört aber noch mehr dazu, Sängerin zu werden.
Man darf nie aufhören
zu lernen. Ich habe – als ich jung war, aber auch später, als meine Karriere
schon begonnen hatte – immer gelernt. Man weiß nie genug über die Musik. Es
gibt immer etwas zu entdecken, sowohl bei Komponisten, die man zu kennen
glaubt, als auch bei solchen, über die man noch nichts weiß. Das ist wie ein
Geheimnis, über das man immer etwas Neues erfährt. Ich war wirklich sehr neugierig
auf das, was meine Lehrer mir beigebracht haben, und später auf neue Werke, die
ich aufführen konnte, weil viele Leute an mich geglaubt haben. Heute sind diese
Opern im Repertoire verankert. Sie haben geschlafen und mussten nur jemanden
finden, der sie weckt. So sehe ich meinen Lebensweg durch die ganzen Jahre. Und
ehrlich gesagt, ich finde es schön, wenn man etwas in die Welt der Musik
bringen kann – wie diese wieder zum Leben erweckten Stücke.
Liebe
zur Musik und Wissen über die Komponisten, das ist das Eine. Das Andere ist
natürlich die Gesangstechnik. Wie viel von dem, was Sie können, mussten Sie
lernen? Etwa Ihr unglaubliches Piano: War das einfach da oder mussten Sie es
sich erarbeiten?
Ich musste es lernen.
Es ist eine Frage der Technik. Manche Leute sehen das vielleicht anders, aber
ich habe von meiner Lehrerin gelernt, dass Pianissimo das Einfachste ist, was
man machen kann. Es ist, als wenn man zu Hause ein bisschen vor sich hin
murmelt. Nur ein bisschen mehr Kraft muss man geben. Das ist alles.
Und
wo geben Sie diese Kraft?
In die Luft. Wir
sprechen mit der Luft. Die Luft ist in unseren Lungen. Je mehr man lernt, die
Luft zu beherrschen, desto mehr Leichtigkeit kommt in die Stimme. Dann ist es
einfach. Man muss nur den Körper kennen und wissen, wann man Atem nimmt, wo er
hin geht und wie der Atem wieder heraus kommt. Das kann man nur kontrollieren
mit einer guten Technik, wenn man die Muskulatur beherrscht. Es ist ein wenig
so, als ob das Zwerchfell ein Wagen wäre und die Muskulatur im Bauch die
Bremse. Es kommt darauf an, wie stark sie bremsen – oder eben nicht.
Sie
brauchen mehr Kraft, um leise zu singen?
Ja. Man muss es so
machen, als ob man ein Fortissimo singen wollte, nur dabei mehr Luft einhalten.
Wie
haben Sie Ihren Klang gefunden?
Den Klang findet man
nicht. Er ist das Einzige, was ein Sänger nicht finden kann. Man wird mit
seinem Klang, mit der Farbe auf dem Ton geboren. Den Klang kann man auch nicht
lernen. Entweder man hat einen sanften oder einen kräftigeren Klang, einen
dunklen oder hellen. Das kann man nicht verändern. Durch die Technik kann man
zwar mit dem Klang machen, was man will, aber der Klang selbst ist angeboren.
Ich habe das Glück, mit einem schönen Klang geboren worden zu sein. Das habe
ich nicht gelernt, der war schon da.
Also
besteht das Geheimnis nicht nur im Genie, sondern auch in einem Geschenk.
Ja, es ist ein großes
Geschenk, von Natur aus einen schönen Klang zu haben. Aber dann muss man
arbeiten. Es ist wie mit einem Diamanten, der aus der Erde kommt. Bis er in
einem Ring sitzt, muss der Juwelier viel arbeiten; und dabei kommt es auf seine
Technik an. Aber der Stein selbst war schon da.
Trägt
man damit auch eine Verantwortung für das Material, das einem da anvertraut
wurde?
Es ist eine
Verantwortung – wenn man es denn machen möchte. Ich habe hin und wieder aber
auch wunderschöne Stimmen gehört, die nicht singen wollten.
Aber
es gibt auch Stimmen, die nicht so schön sind und trotzdem unbedingt singen
wollen.
Die versuchen dann,
dies mit der Technik oder der Spezialisierung auf bestimmte Stile
auszugleichen. Kenntnisse über die unterschiedlichen Stile sind tatsächlich
generell sehr wichtig – etwa zu wissen, warum man bestimmte Sachen bei Puccini
nicht wie bei Bellini machen darf oder bei Beethoven nicht wie bei Wagner.
Und
wie können die Korrepetitoren und Dirigenten das heute lernen?
Komponisten wie
Rossini oder Verdi, und auch noch Dirigenten wie Toscanini, Furtwängler oder
Serafin, der Maria Callas die Chance gegeben hat, mit ihrer eigenen Stimme zu
singen, wussten, was eine Stimme singen kann und was nicht. Heute gibt es nur
vier oder fünf Dirigenten, die das können.
Ich
nehme an, die Namen wollen Sie mir jetzt nicht verraten?
Nein! (lacht)
Dann
lassen Sie uns zu Ihrer Stimme zurückkommen. Hat Ihnen die Verantwortung für
einen so wertvollen Diamanten manchmal Angst gemacht?
Nein, ich bin eine
glückliche Sängerin. Denn alles was ich versucht habe, ist mir gelungen. Und
erst nach zehn oder fünfzehn Jahren im Beruf habe ich begriffen, was für ein
Glück ich mit meiner Lehrerin hatte, die mir diese tolle Technik beigebracht
hat. Und auch mit den Dirigenten zu Beginn meiner Laufbahn hatte ich großes
Glück, etwa mit Silvio Varviso, Heinz Wallberg oder George Alexander Albrecht.
Das war wirklich ein schöner Anfang.
Ich wurde in eine
Zeit geboren, als es viele große Künstler gab – wie die Callas oder die
Tebaldi. Und die Eindrücke, die sie vermittelten, bleiben einem im Gefühl.
Nachdem ich etwa die Tebaldi als Aida erlebt hatte, fiel es mir etwas schwer,
andere Sängerinnen in dieser Rolle zu hören, weil die Tebaldi einfach die
Stimme für Aida war. Es war eine Ära, in der man die Stimme sehr respektiert
hat, denken Sie an die „Traviata“ der Callas. Das war ein Sopran! Nicht eine
Koloraturstimme, sondern ein richtiger Sopran, so wie Verdi ihn wollte. Ein
Sopran mit Fioriture, aber ein Sopran, der auch die dramatischen Stücke singen
konnte.
Als
Studentin haben Sie die großen Sängerinnen wie die Tebaldi oder die Callas
bewundert. Heute gehören Sie selbst dazu.
Ja, aber ich stamme
aus einer anderen Ära. Vieles hat sich verändert in den vergangenen
Jahrzehnten, vor allem der Respekt vor dem Dichter, der den Komponisten
inspiriert hat, und vor dem Komponisten, der auf dieser Basis ein Meisterwerk
geschaffen hat. Als ich anfing, gab es diesen Respekt. Das hat sich ein
bisschen geändert.
Denken
Sie an die Regisseure oder an den Starrummel?
An beides. In einem
Atelier kann man die Mode wechseln. Das passiert heute auch in der Oper. Es
gibt immer ein Publikum, das die Musik liebt und großen Respekt hat. Aber es
gibt eben auch Leute, die diesen Respekt nicht gelernt haben und glauben, die
Oper wäre das, was man heutzutage oft zu sehen bekommt. Nicht alle Theater
machen das, Gott sei Dank.
Aber
in Deutschland fast alle?
Nein, nein, nein. Ich
habe in Deutschland auch schöne Vorstellungen gesehen mit guten Sängern und
guten Dirigenten. Gerade Deutschland, Österreich und die Schweiz bilden immer
noch das musikalische Zentrum Europas. Ich habe nichts gegen Frankreich,
England oder Spanien, aber den Respekt, den man im Herzen von Europa vor der
Musik hat, findet man nirgendwo anders. In einigen weit entfernten Ländern wie
Australien, Japan, Korea oder Südafrika wird aber auch heute noch Oper gemacht,
wie ich sie früher gekannt habe. Die machen noch schöne Vorstellungen und sind
noch nicht so progressiv.
Haben
Sie Spaß daran, die junge Generation zu hören?
Die interessiert mich
sehr. Da gibt es wunderbare Stimmen, aber sie singen nicht mit genug Freude.
Man muss Freude haben, wenn man auf die Bühne geht; man muss es genießen,
verrückt werden vor Freude.
Aber
was ist mit der Angst vor dem Auftritt? Ich glaube, Brigitte Fassbaender hat
einmal gesagt, sie fühle sich dann wie ein Lamm, das gleich geopfert werden
soll.
Sie hat Recht!
Aber
wie kommen dann die Freude und die Angst zusammen?
Die Angst ist normal.
Nicht vor dem Publikum oder vor dem Werk, sondern davor, dem eigenen Anspruch
nicht zu genügen, die Leute nicht zu enttäuschen, aber auch dem Komponisten
gerecht zu werden.
Sie
unterstützen den Nachwuchs mit Meisterkursen und einem eigenen Wettbewerb.
Da finde ich wirklich
schöne Stimmen. Aber es kommen auch viele junge Sänger, ohne die geringste Idee
von ihrem Körper zu haben. Die wissen nicht, wie sie Luft nehmen sollen, wo sie
hingeht, wie sie die Luft stützen sollen. Sie haben keine Ahnung! Aber dann
finden sie etwas, und sind ganz überrascht – so als ob sie gerade Amerika
entdeckt hätten (lacht). Der Wettbewerb hat fünf Jahre lang in Andorra
stattgefunden und wird seit drei Jahren in Spanien ausgetragen.
Beobachten
Sie die jungen Sänger, die bei Ihnen erfolgreich waren, auch weiter?
Ja, Maya Dashuk zum
Beispiel ist in Zürich engagiert, hat „Traviata“ in Rom gesungen. Und der
südkoreanische Tenor Kim singt überall Don Carlos. Ich bin glücklich, dass die
Preisträger meines Wettbewerbs so gefragt sind.
Ein
Traum ist leider nicht in Erfüllung gegangen: Sie haben noch vor zwei Jahren
geäußert, Sie würden gerne eine eigene Gesangsschule gründen.
Eine Gesangsschule zu
gründen kostet viel Geld. Und mein Mann und ich haben schon zwei Stiftungen ins
Leben gerufen, eine für Kinder und eine für ein Altenheim in Madrid. Mein Mann
ist der Meinung, es sei vielleicht besser, Häuser für Kinder und alte Menschen
zu bauen, als eine Gesangsschule.
Von
der jungen zur alten Generation: Sind Sie noch in Kontakt mit Ihren
Kolleginnen?
Ja, ich telefoniere
zum Beispiel oft mit Marilyn Horne und wir fragen uns gegenseitig: Was machst
Du noch?? Wir sind sehr gut befreundet; wir haben gute Zeiten gemeinsam erlebt.
Sie
haben eine grossartige Karriere gemacht, haben mit den bedeutendsten Künstlern
gearbeitet, sind praktisch überall aufgetreten. Und Sie sind noch heute äußerst
populär und beliebt. Gab es dennoch auch Situationen in Ihrem Leben, wo Dinge
schief gelaufen sind?
Im Leben eines jeden
Menschen gehen Dinge schief. Aber ich habe von meinem Vater gelernt, positiv zu
sein. Ich denke an heute und morgen. Was passiert ist, ist vorbei, das kommt
nie wieder, egal ob es schön oder schlecht war. Aber das Wichtigste sind die
Arbeit, die Freude und der Glauben. Man muss vorwärts gehen, nie zurück.
Dann
lassen Sie uns abschließend nach vorne schauen: Was passiert in den nächsten
Monaten bei Montserrat Caballé, die ja nicht zu Hause sitzen, sondern arbeiten
will?
Zu meinem 75.
Geburtstag mache ich eine große Tournee, alle wollen mich feiern. Es gibt große
Galas, mit Klavier oder mit Orchesterbegleitung. Außerdem gebe ich verschiedene
Benefizkonzerte für die UNESCO-Stiftungen gegen Aids und um die Erziehung für
Kinder in Not zu unterstützen. Eines dieser Konzerte wird in diesem Sommer in
Berlin stattfinden. Ich habe mich für vieles bei Deutschland zu bedanken, hier
ist mir genau wie in der Schweiz und Österreich viel Gutes widerfahren.
09/03/2008 – KURIER-online
09/03/2008
– KURIER-online
"Habe Lungen wie ein Taucher"
Eine Große der Oper
wird 75 Jahre alt und kommt nach Wien: Montserrat Caballé über Kollegen, Kilos
und ihre Krankheit.
Die
Garderobe der Sopranistin ist karg und halb leer. Ein Tisch, zwei Sessel, eine
Schale mit frischem Obst, Mineralwasser. An der Wand hängt ihr Mantel. Kein
Spiegel, kein Make-up. Von draußen klingt Probengesang in den Raum. Montserrat
Caballé lehnt den Gehstock an die Tischkante und sinkt auf den harten Stuhl.
"Mein
Knie." Trotz mehrfacher Operationen tue es meistens weh. "Aber auf
die Bühne gehe ich nicht mit dem Stock", erklärt die spanische Sängerin
trotzig – in perfektem Deutsch.
Was
sollen wir miteinander reden? fragen ihre dunklen, stechenden Augen. Sie ist
ganz in Schwarz gekleidet. Das Dekolleté hält eine riesengroße, glitzernde
Brosche zusammen, an beiden Händen trägt Señora gewaltige Ringe, und auch ihre
Ohrringe glitzern wie Sterne am Nachthimmel.
Montserrat
Caballé, der Opern-Weltstar, wird 75 Jahre alt. Am 26. März tritt sie im Wiener
Konzerthaus auf, um diesen runden Geburtstag "im musikalischen Herz
Europas" zu feiern. "Letztes Jahr schon haben die Philharmoniker nach
unserer Vorstellung 'Happy Birthday' für mich gespielt. Ich habe so geweint
..."
Reden
wir also über die Zahl 75, über die Bilanz einer mehr als 50-jährigen
Bühnenkarriere, über Wünsche an das Leben. Und über die Weisheit des Alters.
KURIER:
Frau Caballé, ist 75 nur eine Zahl?
Montserrat Caballé:
Das ist mein Alter. Und weil es eine schöne Zahl ist, wird mein Geburtstag auch
bei einem Konzert gefeiert, das ich gemeinsam mit meiner Tochter gebe, zuerst
in Wien, dann in andern europäischen Ländern. Es wird etwas ganz Spezielles für
die musikalische Welt sein, und vor allem für mich.
Wie
alt fühlen Sie sich?
Ich fühle mich so alt
wie ich bin: Nicht jünger, aber auch nicht älter. Ich bin glücklich, 75 zu sein
und noch dazu singen und reisen zu können. Ich bin glücklich über jeden Tag,
der kommt. Für mich ist das Leben, das stattfindet, schon passé. Es ist das
Heute und das Morgen, das mich interessiert. Ich mag nicht von Erinnerungen
leben.
Es
gibt Kritiker, die an Ihrer Stimme herummeckern. Wird vielleicht auch eine
Stimme älter?
Natürlich! So wie die
Haare grau werden, die Falten stärker, so wird auch die Stimme älter. Ich singe
nicht mehr wie vor 30 Jahren. Aber ich sage immer, wichtig ist
es, den Klang zu
behalten. Ich habe das Elfenbein auf meiner Stimme nie verloren. Das hat auch
damit zu tun, dass ich immer Partien gesungen haben,
die zu meinem Charakter und zu meiner Stimme gepasst haben.
Wie
pflegen Sie Ihre Stimme?
Ich singe nicht in
der Badewanne, wenn Sie das meinen, weil die Fliesen ein viel zu starkes Echo
machen. Aber ich übe täglich 10 bis 14 Minuten, hauptsächlich Atemgymnastik.
Nicht länger. Singen ist eine Sache des Atmens. Meine Lungen sind trainiert wie
die eines Tauchers.
Wenn
Sie Ihre Karriere Revue passieren lassen, was ist dann wirklich wichtig?
Ich liebe meinen
Beruf, die Musik und das ganze Leben, dass ich durch die Musik erreicht habe.
Aber ich habe nie vergessen, dass die Musik mein Beruf ist und das Leben etwas
anderes. Ich mache zum Beispiel nach den ganzen Konzerten zu meinem Geburtstag
eine kleine Weltreise mit meiner Familie, wir fahren nach Japan, New York, San
Francisco und Washington. Für sie bin ich hier auf dieser Welt und vielleicht
habe ich deshalb mit 75 so viel Kraft.
Sie
haben Kinder und Karriere immer verbunden. Was wünschen Sie Ihrer Kollegin Anna
Netrebko, die ein Kind erwartet?
Das ist fantastisch!
Anna ist eine großartige Sängerin, sie wird mit dem Kind noch schöner singen.
Es gibt die Ansicht,
ein Kind könne auch die Stimme einer Opernsängerin verändern.
Nein, wenn die
Technik gut ist und die Stimme da ist, was bei Anna ja der Fall ist, dann wird
die Stimme reizend wie immer sein. Nur die Seele, die wird reicher sein. Ich
spreche aus Erfahrung: Mein Sohn hat mir 1966 viel Kraft gegeben,
weiterzumachen. Und meine Tochter, fünf Jahre später, genauso.
Sind
Sie mittlerweile schon Großmutter?
Nein, meine Tochter
hat sich scheiden lassen. Und mein Sohn, er findet keine Frau wie Mama, sagt
er! Er lebt in New York.
Ihre
Tochter ist auch Opernsängerin und trägt denselben Namen wie Sie: Ist es etwas
anderes, mit ihr auf der Bühne zu stehen?
Als man uns am Anfang
gefragt hat, zusammen zu singen, war es eine große Überraschung. Aber nach
unserem Debüt in der Staatsoper von Hamburg waren die Leute neugierig auf
Mutter und Tochter und wir haben überall ein bisschen gesungen. Jetzt singen
wir nicht mehr so oft zusammen, weil sie viele Vorstellungen in Opern hat und
auch viele Konzerte allein. Es ist jedes Mal eine große Emotion, mit meiner
Tochter zu singen – ich hätte das nie gedacht.
Apropos
Emotion: Sie bezeichnen Wien immer als "musikalisches Herz Europas".
Welches Gefühl verbinden Sie mit dieser Stadt?
Wien ist mein
Fetisch. 1959 war ich das erste Mal da und habe mit Erfolg in der
"Salome" und in "Il Pagliacci" gesungen, die Direktion
wollte mich fest engagieren. Josef Krips, einer der Hausdirigenten, fragte
mich, was ich an Alternativen hätte. Wenn Sie in Wien bleiben, sagte er, werden
Sie vielleicht die fünfte Besetzung sein und singen, wenn jemand krank wird. An
Ihrer Stelle würde ich ein Theater wählen, wo Sie die Möglichkeit haben, jeden
Abend Repertoire zu singen: Das ist es, was Sie brauchen. Und so ging ich nach
Bremen.
War
es ein guter Rat?
Ja. Ich kann
Professor Krips gar nicht genug danken. Denn durch diese zwei Jahre in Bremen
habe ich so viele Partien gelernt, die für mein Fach wichtig waren. In den
Jahren darauf habe ich immer an diesen Mann gedacht. Er ist der Grund dafür,
dass Wien mein Fetisch ist.
Karajan,
der damals Operndirektor war, wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Welche
Erinnerungen haben Sie an ihn?
Ganz fantastische,
wirklich. Mit ihm zu singen war immer eine Meisterklasse. Und ich hätte mehr
mit ihm singen wollen. Ich habe einmal eine Rolle abgesagt, er wollte absolut,
dass ich sie singe. Aber ich konnte nicht, ich war an der
Met. Und er wollte auch, dass ich abnehme.
Im
Ernst?
Ja, zehn Kilo, für
"Don Giovanni". Ich wog damals 72 Kilo und fand mich wunderschön.
Also weigerte ich mich. Es hieß, ich könnte ja in der übernächsten Saison etwas
anderes singen. Ich sagte: Gern. Aber dann wiege ich zehn Kilo mehr und bin 10.000
Dollar teurer. Karajan war stinksauer.
War
Ihr Gewicht nie ein Problem für Sie?
Nein, weil ich
ohnehin wusste, dass ich aufgrund eines Stoffwechseldefektes nicht dünner
werden kann – ich verbrenne nur halb so viel Fett, wie ich sollte. Deshalb bin
ich seit vielen Jahren Vegetarierin. Ich kann Fleisch nicht verdauen. Heute
wiege ich 102 Kilo. Der Vorteil daran ist, dass Dicke nicht so viele Falten
bekommen!
Nie
an eine kleine Fettabsaugung gedacht?
Nein, um Gottes
willen! Ich bin ganz wie ich geboren bin. Frauen, die an sich herumschneiden
lassen, haben kein Glück im Leben.
Was
bedeutet Luxus für Sie?
Ich verdiene nicht so
viel, ich bin kein Tenor.
Wie
dürfen wir das verstehen?
Auch an den Opern
gibt es keine Gleichberechtigung. Frauen verdienen immer noch weniger als
Männer. Vielleicht, weil Singen für einen Mann viel schwerer ist.
Ist
das so?
Ja, denn eine Frau
hat von Natur aus einen Sound. Männer müssen durch den Stimmbruch gehen und
später auch härter studieren als Frauen, um den Klang nach oben zu bringen. Ich
nehme an, darum bezahlt man ihnen mehr.
Auch
wenn Sie weniger verdienen als männliche Kollegen, es ist doch eine ganze
Menge.
Ich habe immer gut
verdient, ich habe ein gutes Leben – ich kann nichts anderes sagen. Meine
Kinder konnten schön studieren, beide konnten Karriere machen. Wir haben einen
Park, wir haben zwei Häuser, zwei Foundations für Kinder. Viele Konzerte, die
ich mache, gehen zugunsten dieser Foundations. Aber ich besitze weder ein
Flugzeug noch ein Boot. Luxus bedeutet für viele, nicht an jene zu denken,
denen es schlechter geht und dieser Gedanke tut mir weh.
Frau
Caballé, sie hatten Krebs. Wie geht es Ihnen heute mit dieser Krankheit?
1985 entdeckten die
Ärzte einen Gehirntumor bei mir. Sie hatten Angst, dass er bösartig sein
könnte. Aber das war 1985, und ich sitze noch immer da.
Wie
haben Sie den Tumor behandelt?
Ich habe damals mit
Luciano Pavarotti an der "Met" in New York gesungen – ich vermisse
ihn so sehr. Er sagte: Mach dir nicht so viel Sorgen, fahr’ erst mal nach
Hause. Ich ließ mich also nicht in New York operieren, ich war einfach
innerlich nicht bereit. Später flog ich nach Zürich und machte eine
Lasertherapie. Mittlerweile lebe ich schon seit 23 Jahren mit meinem Tumor.
Seit ich ihm lebenslanges Wohnrecht gewährt habe, ist er nicht mehr gewachsen.
Er ist nicht an meine grauen Zellen gegangen. – Lacht. – Ich betrachte ihn
heute wie einen Freund.
Glauben
Sie daran, dass es nach dem Leben weitergeht?
Wir haben nicht das
Glück, die Einzigen zu sein in diesem Universum. Es ist nicht nur für uns, für
die kleine Erde gemacht. Deshalb glaube ich an ein anderes Leben und an einen
anderen Platz, ganz sicher.