Spiegel
– 28/03/1994
„Striptease an der Met“
Starsängerin
Montserrat Caballé über ihre Karriere und die Oper
Frau
Caballé, Sie gastieren fast ausschließlich im Konzertsaal, sind Sie opernmüde?
O nein! Aber nach
meinem Herzkollaps in New York, 1985, haben mir die Ärzte von den strapaziösen
Opernrollen abgeraten. Ich singe nur noch das, was ich kann und was mein Doktor
mich lässt. In meinem Alter kann ich natürlich nicht mehr alles bringen – also nicht
mehr die „Traviata“ mit ihren Spitzentönen, sondern Lieder von Brahms oder
Richard Strauss, die mir stimmlich jetzt mehr liegen.
Die
rauschenden Koloraturfeste mit Ihrer Lieblingskollegin Marilyn Horne sind damit
auch passé?
Nein. Wir treten
weiter gemeinsam auf und amüsieren uns.
Sie
haben beide einen ausgeprägten Sinn für Komik.
Wir haben herrliche
Storys erlebt. Zum Beispiel in Paris in Rossinis „Semiramis“. Da gab’s einen
extrem rutschigen Bühnenboden. Und wir hatten das moniert. Bei dem schrecklich
langen Duett im zweiten Akt standen wir immer auf einem Fleck. Nach dem Applaus
sollte erst Marilyn und dann ich abgehen. Plötzlich flüsterte sie: „I can’t
move.“ Ich: „Warum?“ Marilyn: „Meine Schuhe kleben fest.“
Ihre
Beschwerde hat wohl jemand sehr ernst genommen.
Das kann man sagen.
Ich wollte ihr helfen, konnte mich aber auch nicht rühren. Das Publikum wurde
schon unruhig, am Pult ruderte hilflos der Dirigent. Wir rafften die Röcke und
zogen, bis wir endlich freikamen.
Wie
kam es denn zu der unverhofften Bodenhaftung?
Die Bühnenarbeiter
hatten, in bester Absicht, Coca-Cola auf die Bühne gegossen. Unter unseren
Füßen war während der endlosen Singerei das Zuckerzeug getrocknet.
Solche
standfesten Freundschaften sind wohl eher rar im internationalen
Gesangsbetrieb?
Nein, aber die 20
Prozent von uns, die ständig zanken und keine Freunde haben, machen so viel
Lärm, dass alle denken, die restlichen 80 Prozent wären genauso verzickt.
Aber
das entspricht doch den Erwartungen, die das Publikum in eine
Vollwertprimadonna setzt.
Diese Diven, das sind
doch genau die 20 Prozent, von denen ich eben sprach. Ich hab’ schon so viele
überdrehte Primadonnenauftritte erlebt, die nicht zur Rolle passten. Ich will
mich in die Musik versenken. Nach einer aufwühlenden Vorstellung kann ich nicht
gleich wieder als Montserrat auf die Füße kommen.
Und
wenn die Caballé mal ganz lustlos zur Arbeit geht?
Das kommt sehr selten
vor. Beim Liederabend kriege ich mich leicht in den Griff. Ich sage dann zum
Pianisten: „Heut’ geben wir die Zugabe am Anfang.“ Das ist meist ein
Lieblingsstück von mir und bringt mich in Stimmung.
In
der Oper aber hilft dann nicht einmal Ihr humoristisches Naturell.
Nein, da nicht.
Früher habe ich ja Mozarts komisches Blondchen in der „Entführung“ gesungen.
Blond steht mir überhaupt gut, mit so einer Perücke war ich auch Wagners
Isolde.
Ein
Fall von akutem Haarausfall hat Sie ja in New York in die Schlagzeilen
gebracht.
O Gott, das war
wirklich unfreiwillig komisch. Ich sang die Titelrolle in der „Ariadne“ von
Strauss. Stellen Sie sich vor: In großer Robe und mit rötlicher Perücke hatte
ich gerade meine Auftrittsarie hinter mir. Nun war die Zerbinetta mit ihrem
Rezitativ dran, ich musste von der Bühne. Zu meinem Entsetzen aber stand die
Kollegin nichts ahnend auf meiner langen Schleppe.
Sie
leiden an chronischen Abgangsbeschwerden. Wie haben Sie diese denn bewältigt?
Diesmal ging’s total
daneben. Ich musste etwas erfinden. Und so rief ich: „Zerbinetta, warum
frisierst du mich nicht?“ Und dann ist es passiert: Statt sich zu bewegen,
griff sie einfach mit langem Arm in meine Haare. In dem Moment stand ich aber
auf, und ratsch: Da hatte sie meine Perücke in der Hand, und mein Kostüm sauste
herunter. Die Zeitungen waren begeistert: „Caballé macht Striptease an der Met“.
Als
Gag könnte eine solche Enthüllung auch einem Avantgarde-Regisseur einfallen.
Nicht mit mir. Jeder
hat seine Grenzen. Regieexperimente sollte man nur mit moderner Musik machen.
Eine „Tosca“, die in der Mussolini-Zeit spielt, lass’ ich mir noch gefallen,
aber was mir, 1983 in Bonn, dieser Jorge Lavelli in Bellinis „Norma“ zumuten
wollte, ging einfach zu weit.
Was
wollte er?
Die Inszenierung
spielte in einer Munitionsfabrik, und ich sollte eine Guerilla-Kämpferin sein,
mit einer MP in einen Panzer springen und die berühmte Cavantine „Casta Diva“
singen.
Fürs
Kunstturnen sind Sie nicht geschaffen.
Es war einfach
unmöglich für mich. Der Regisseur wollte nur Eindruck schinden. Das passte
weder zum Text noch zur Musik. Man darf das Wer eines Komponisten nicht
verraten. Ein Regisseur sollte nie so eitel sein, die Meister übertrumpfen zu
wollen.
Wer
leistet sich denn noch diese Bescheidenheit?
Die wirklich Großen,
Franco Zeffirelli etwa. Regisseure, die selbst vom Blatt singen, können gar
nicht gegen die Musik inszenieren.
Sie
sind in einer Zeit groß geworden, in der Wertreue oberstes Gebot war. Wie waren
denn Ihre Lehrjahre in der Theaterprovinz?
Basel und Bremen
waren ein Phantastisches Fundament für meine Karriere. Ich finde, jeder Sänger
sollte unbedingt drei, vier Spielzeiten an einer deutschen Bühne arbeiten. das
ist toll. Nur so kann man sich in Ruhe entwickeln und bekommt Routine.
Wie
sind Sie als spanische Gastarbeiterin empfangen worden?
Herzlich. Ich war
niemand und trotzdem jemand. Meine Bremer Nachbarn in der Parkstrasse haben mir
und meiner Familie immer geholfen. Wir sind noch heute mit einigen befreundet.
Aber es ist ja jetzt überall kälter geworden in der Welt. Zu mir als Sängerin
sind die Leute nett, aber meinen die auch den Menschen Caballé?
Sie
sind einmal, sehr erfolgreich, ausgebrochen aus der Opernwelt – in die
Rockmusik. War das ein lustvoller Ausflug?
Ja, das war sehr
schön. Der „Barcelona“-Song, den ich 1986 mit Popstar Freddie Mercury für die
Olympischen Spiele aufgenommen habe, hat mir außerdem ein neues Publikum
beschert.
Haben
Sie die Popfans auch zur Oper bekehrt?
Einige schon. Als wir
in Wien Rossinis „Viaggio a Reims“ aufführten, kamen tatsächlich 80 junge Leute
mit dem Bus aus Bayern, um endlich die Frau zu bestaunen, die auf der Platte so
laut mit Freddie schreit. Nachher wollten sie alle ein Autogramm von mir und
schwärmten: „Wir wussten nicht, dass Oper so lustig ist. Wir kommen wieder.“ Als
sie weg waren, scherzte Claudio Abbado, unser Dirigent: „Gut, dass es heute
nicht Parsifal gab. Dann wären die nie wieder gekommen.“
Wie
lange singen Sie noch?
Bis zu meinem Ende,
zum Ende meines Lebens oder meiner Stimme.
Wollen
Sie sich vorher noch einen Traum erfüllen?
Ja, unbedingt. Ich
will 1996 in Griechenland, in diesem grandiosen Freilichttheater von Epidaurus,
die Elektra singen. Die Musik von Richard Strauss ist für mich das
Allerschönste. Er ist der wirklich letzte Romantiker, eine Welt in sich selbst,
ein Ozean.