CRESCENDO – 01/2010
Die letzte Diva
Montserrat Caballé feiert ihr
50-jähriges Bühnenjubiläum in Deutschland. Wir trafen sie am Rande eines
Konzerts und erlebten eine Frau, die einfach weiter singen möchte.
Von Thomas Voigt
Seit Dezember tourt sie wieder: Konzerte in
Bremen, Bonn, Düsseldorf, Berlin, München, Köln. Montserrat Caballé feiert 50
Jahre Deutschland. Nach drei Anfängerjahren in Basel kam sie 1959 nach Bremen -
und erhielt dort ihre Grundausbildung für die spätere Welt-Karriere. In Bonn
stellte sie sich nun den Fragen unseres Autors.
crescendo: Frau Caballé, ich bewundere ihr
Durchhaltevermögen.
Montserrat Caballé: Wieso?
crescendo: Tourneen sind anstrengend, und was Sie mit 76 noch
alles schaffen, ist enorm. Was treibt sie zu solchen Leistungen an? Sie könnten
doch auch ganz gemütlich zu Hause sitzen, im Kreis ihrer Familie, und das Leben
genießen.
Caballé: Ja, und wenn ich
nur zu Hause sitze - was soll ich dann machen? Warten, dass der liebe Gott mich
holt? Nein, Singen ist für mich jedes Mal ein Fest. Auch wenn ich mich heute
oft frage: Was erwarten die Zuhörer von mir, was kann ich denen geben, dass sie
nicht enttäusche? Und ich bin immer wieder neu überwältigt, mit welcher
Herzlichkeit und Wärme ich empfangen werde.
crescendo: Haben Sie manchmal Angst vorm Auftritt?
Caballé: Selten, und dann
ist es eher eine Nervosität. Zum Glück hatte ich niemals unter diesen
Panik-Attacken zu leiden, mit denen einige berühmte Sänger ihr Leben lang zu
kämpfen hatten. Zum Beispiel Franco Corelli. Manchmal war das so schlimm bei
ihm, dass man ihn buchstäblich auf die Bühne schieben musste. Aber dann hat er
gesungen wie ein Gott.
crescendo: Ihr “Markenzeichen” ist eine phänomenale
Atemkontrolle. Muss man für diese Technik besonders begabt sein oder kann die
jeder lernen?
Caballé: Das kann jeder
lernen, der sich die Mühe macht, konstant daran zu arbeiten. Voraussetzung ist,
dass man seinen Körper genau kennt und weiß, wie er funktioniert. Man muss zum
Beispiel wissen, dass Atmen beim Singen ganz anders funktioniert als beim Sport
oder beim Sex. Als Baby und als Kleinkind atmet man automatisch richtig,
deshalb können Kinder stundenlang sehr laut sein, ohne heiser zu werden. Sie
atmen instinktiv richtig. Leider verlernen die meisten Menschen diese
angeborene Fähigkeit, und der Gesangsunterricht ist nicht zuletzt dafür da,
zurückzugewinnen, was man als Kind instinktiv beherrscht hat. Was man einmal
automatisch konnte, muss man jetzt bewusst erlernen - und trainieren,
trainieren, trainieren.
crescendo: Was sollte, neben dem Talent, Ihrer Meinung nach die
Haupt-Motivation sein, um Sänger zu werden?
Caballé: Die Liebe zur Musik.
Der Respekt vor dem Komponisten. Der Wunsch, etwas zum Ausdruck zu bringen, das
den Zuhörer erreicht und bewegt. Und eine gesunde Selbsteinschätzung, die einem
sagt: Das eine kann ich heute singen, das andere erst in zehn Jahren. Aber
nicht: “Ich will berühmt werden und viel Geld verdienen”. Das kommt von selbst,
wenn man Glück hat, als Resultat einer guten Leistung. Aber es darf nicht die
erste Motivation sein.
crescendo: Sie singen seit 50 Jahren in Deutschland. Nach drei
Anfängerjahren in Basel waren sie von 1959 bis 1962 an der Oper in Bremen.
Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Caballé: Nur gute. Ich war
in Bremen sehr glücklich, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Mensch.
Meine Familie war bei mir, und ich hatte gute Freunde. Als mein Vater während
dieser Zeit sehr krank wurde, hat man ihn hervorragend versorgt. An der Oper
habe ich sehr viel gelernt, von den Dirigenten George Alexander Albrecht und
Heinz Wallberg, von sehr guten Korrepetitoren und Kollegen. Das war quasi die
Basis für meine Opern-Karriere. In den drei Jahren davor, während meines ersten
Engagements in Basel, lebte ich eher in einer Traumwelt: Eine Anfängerin im
Zauberland der Oper. Zwar wurde ich sehr bald vom “Cover” in die erste Reihe
katapultiert: Ich musste viele Partien von Irene Salemka übernehmen, die nach
London gewechselt war, aber es erschien mir alles wie ein schöner Traum. In
Bremen lernte ich, was Bühnen-Realität und Professionalität bedeuten.
crescendo: Daher auch Ihre Liebe zu Mozart und Strauss?
Caballé: Nein, die hatte
ich schon während meines Studiums. Ich denke, beide Komponisten sind auch von
zentraler Bedeutung für meinen Weg als Sängerin. Meine erste Strausspartie war
Salome, da war ich Anfängerin in Basel und Cover für Inge Borkh. Ich habe sie sehr
bewundert, war natürlich voller Komplexe. Als ich dann einspringen musste, ging
zum Glück alles gut. Und damals war ich natürlich schlanker als heute. Mein
Debüt in meiner Heimatstadt Barcelona war wieder eine Strauss-Oper, “Arabella”.
1959 bin ich in Wien als Elvira eingesprungen (Eberhard Wächter sang die
Titelrolle). Zur Elektra ist es leider nicht mehr gekommen. Aber mein anderer
großer Traum ist in Erfüllung gegangen: Isolde. Die habe ich in Barcelona neben
René Kollo und Brigitte Fassbaender gesungen.
crescendo: Bei “Salome” fällt mir eine Aufführung in Barcelona
ein, bei der es zum Schluss einen kleinen Unfall gab.
Caballé: Oh Gott, die
Silberschüssel! Die war nicht echt, nicht stabil, sondern aus Plastik. Und dann
kommt doch die Szene, wo sich Salome über die Schüssel beugt, um den Kopf des
Jochanaan zu küssen. Das ist eine ganz leise Stelle, piano im Orchester. Ich
stütze mich also am Rand der Schüssel ab - und es gibt einen lauten Knacks. Die
Schüssel bricht entzwei, die Kopf-Attrappe wackelt, und ich muss mich natürlich
furchtbar beherrschen, um nicht laut zu lachen.
crescendo: Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie vor Lachen
nicht weitersingen konnten?
Caballé: Ja, bei einer
“Ariadne” an der Metropolitan Opera, im Vorspiel, wenn die Primadonna sich für
den Auftritt fertig macht. Ich hatte etwas auf dem Kopf, das war keine richtige
Perücke, sondern so etwas Improvisiertes. Und ich stehe auf, ohne zu merken,
dass meine Kollegin noch damit beschäftigt ist, meine “Haare” zu kämmen. Da stand
sie nun mit dem Ding in der Hand - und wir konnten alle vor Lachen nicht weiter
singen.
crescendo: Ihr Lachen bei Talkshows ist legendär. Man hat immer
den Eindruck, dass Sie diese Auftritte sehr genießen.
Caballé: Das tue ich. Es
gefällt mir sehr, wenn ich als Opern- und Liedersängerin ein ganz anderes
Publikum erreiche - mit ein Grund, warum mir die Arbeit mit Freddy Mercury,
Mario Adorf oder Vangelis so viel Freude gemacht hat. Ich finde es toll, wenn
man die künstlichen Grenzen zwischen den Sparten überschreitet.
crescendo: Wie kam es überhaupt zu dem Duo Caballé-Mercury?
Caballé: Freddy war ein
großer Opernfan, und er wäre am liebsten auch Opernsänger geworden. Eines
Abends sang ich in London, und er kam nach der Vorstellung in meine Garderobe.
Wir sprachen unter anderem über Pläne zur Olympiade in Barcelona: Man hatte
mich gebeten, einen Song zur Eröffnung zu singen, etwas Populäres und Modernes.
Und da meinte mein Bruder Carlos, der ja mein Manager ist: Wie wär’s, wenn ihr
beide das Lied singt? Freddy hat sofort zugesagt, und so ist “Barcelona”
entstanden, ein Song, der als Werbung für meine Heimatstadt um die Welt ging.
crescendo: Stimmt es, dass Sie gesagt haben: “Die Callas war
eine Künstlerin. Ich bin nur eine Sängerin mit schöner Stimme”?
Caballé: Ja, das habe ich
gesagt, und es stimmt ja auch. Die Callas war die Essenz des Theaters, eine
Kategorie für sich. Leider habe ich sie nicht mehr live in der Oper erlebt,
aber ich habe sie später, als sie nicht mehr sang, öfters in Paris besucht. Sie
war immer sehr nett zu mir, auch sehr ehrlich. Als ich sie zum Beispiel fragte,
ob ich das Angebot annehmen soll, die Lady Macbeth an der Mailänder Scala zu
singen, meinte sie: “Du hast die großen Szenen der Lady auf Platten
aufgenommen, warum willst Du das auf der Bühne singen? Deine Stimme ist schön
und sanft, aber für die Lady verlangte Verdi die ‚Stimme eines Teufels’. Es
wäre doch traurig, wenn Du den schönen Elfenbeinklang deiner Stimme verlierst”.
Aus dem gleichen Grund hat sie mir von der Abigaille in “Nabucco” abgeraten.
“Tue es nicht, wenn du weiterhin Norma singen willst!” Natürlich habe ich auf
ihren Rat gehört, und vielleicht ist das mit ein Grund, warum ich heute noch
singe.
crescendo: Hören Sie ab und zu Ihre Platten?
Caballé: Selten. Und wenn,
dann lieber die Live-Aufnahmen. Die sind echt, ungeschönt, mit allen Stärken
und Schwächen. Und man spürt diese besondere Energie, die eben nur auf der
Bühne entsteht. Die Studio-Aufnahmen klingen besser - aber etwas fehlt,
manchmal sogar das Wesentliche. Wie zum Beispiel bei unserer Aufnahme von “La
Bohème”. Als wir zur ersten Aufnahmesitzung erschienen waren, sammelte Georg
Solti unsere Klavierauszüge ein und packte sie in einen großen Karton. “Keine
Sorge”, sagte er, “die kriegt ihr hinterher zurück. Hier habe ich neue,
jungfräuliche Auszüge für euch. Ich möchte, dass ihr nur singt, was in den
Noten steht - keine traditionellen Zutaten, kein falsches Sentiment.” Dann hat
er ein Metronom aufgestellt. Und begonnen wurde mit dem letzten Akt, damit bloß
keine “falschen Emotionen” aufkommen. Das Resultat: Musikalische Exaktheit,
Notentreue ohne Herz. Als er uns die neuen Auszüge schenken wollte, haben wir
dankend abgelehnt. “Seid Ihr denn nicht zufrieden?”, fragte er Plácido und
mich. Worauf wir unisono sagten “Nein”. “Es sind sehr schöne Tempi”, fügte ich
hinzu, “es klingt alles sehr gut, aber es hat kein Herz”. “Ach was‚ Herz”,
erwiderte Solti, “das sind doch bloß Manierismen”.
crescendo: Singen ist Ausdruck von Lebensfreude. Wie ist das bei
Profi-Sängern? Bleibt noch etwas von diesem Glücksgefühl erhalten, wenn man so
lange auf der Bühne steht?
Caballé: Oh ja. Wenn Du
mit Partnern wie Plácido Domingo auf der Bühne stehst oder einen tollen
Dirigenten hast, dann ist es wie im siebten Himmel! Manchmal ist es eine Art
Trance: Du bist total in der Musik und vergisst alles um dich herum. Das ist
mir bis heute geblieben, wo ich so alt geworden bin und wo mir das Singen nicht
mehr so leicht fällt. Wenn alles gut läuft, ist es immer noch wie ein schöner
Traum. Auch danach. Überall wo ich hinkomme, finde ich Menschen, die mich
lieben. Darunter viele junge Menschen, die mich nur von Platten gekannt und zum
ersten Mal live gehört haben. Das ist wirklich ein wunderbares Gefühl, das ich
nur jedem Sänger wünschen kann.