merkur-online 19/03/2010

merkur-online  19/03/2010

 

„Ich weiß nicht, was eine Diva sein soll“

 

München - Sopran-Legende Montserrat Caballé über ihr Leben für die Musik, Opernfunktionäre und lustige Münchner.

Dienstälteste Sängerin, das klingt ein wenig uncharmant. Aber wer sollte derzeit auf eine ähnlich lange Karriere wie Montserrat Caballé zurückblicken können? Heuer feiert sie ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum in Deutschland – und ein Abschied ist nicht in Sicht. Standesgemäß wird, wie es sich für eine aktive Künstlerin gehört, zum halben Jahrhundert im Scheinwerferlicht eine Tournee veranstaltet, die die Spanierin am 22. April in die Münchner Philharmonie führt. Begleitet wird die 76-Jährige dabei vom Pianisten Manuel Burgueras.

 

Wundern Sie sich manchmal über Ihren jahrzehntelangen Erfolg?

Ja, natürlich. Aber ich bin doch nicht die Einzige mit so einer langen Karriere!

 

Könnte heutzutage so etwas auch anderen Kollegen gelingen?

Keine Ahnung, was heute alles passiert. Die Sänger möchten vielleicht ein anderes Leben führen als zu meiner Zeit. Ich habe mir immer gesagt: Du kannst eine tolle Karriere haben, du darfst aber nicht vergessen, dass du auch lebst. Viele vergessen, dass Singen eine wunderbare, aber eben auch schwere Arbeit ist, bei der man die Familie leicht aus den Augen verlieren kann.

 

Sie sagten einmal: „Ich brauche das Singen zum Leben.“ Vergeht kein Tag ohne Singen bei Ihnen?

Das hängt immer ab davon, in welcher Lebenssituation man sich gerade befindet. Ich habe eines meiner beiden Kinder verloren. Da hilft einem die Familie, aber eben auch die Musik. Allerdings kann Musik auch ein Gift sein. Dass einen das Publikum bejubelt und liebt, muss man richtig einordnen können. Ich hatte immer Glück. Meine Eltern liebten die Musik, mein Mann war Sänger, meine Tochter singt. Mein Bruder ist mein Agent. Der Beruf war daher nie belastend, weil alle in und für die Musik leben.

 

Wenn von Ihnen gesprochen wird, heißt es immer, Sie seien eine Diva. Wie sehen Sie sich selbst?

Um Gottes willen, ich würde mich nie so bezeichnen. Ich weiß gar nicht, was eine Diva sein soll.

 

Sie werden für Ihren Gesang geliebt, aber auch für Ihr herzliches Lachen. Kaum vorstellbar, dass Sie richtig böse werden können...

Oh doch! Aber jede Reaktion muss korrekt und angemessen sein.

 

Sie trauern der Elektra von Richard Strauss nach, die Sie nie gesungen haben. Warum gerade dieser so zerrissenen Frau?

Eine fantastische Rolle. Ich verdanke der Musik von Strauss so viel. Als die Rolle mir zuerst angeboten wurde, war ich zu jung. Und als ich sie später in Griechenland singen sollte, musste die Produktion aus verschiedenen Gründen abgesagt werden. Dann hat sich nichts mehr ergeben – und jetzt ist wirklich nicht mehr die Zeit dafür.

 

Mit Deutschland verbinden Sie „einen frischen Duft wie 4711 und ein Glas Kölsch“. Und was verbinden Sie mit München?

Die Menschen hier finde ich sehr angenehm, sehr seriös, aber eben auch sehr lustig. Sie nehmen das Leben ein bisschen anders als in Spanien. Die Stadt umarmt einen. In Köln, wo ich seit vielen Jahren singe, ist das ähnlich.

 

Ihre Landsleute sind demnach nicht so lustig wie die Münchner?

Wissen Sie, es gibt Länder, da leben Leute, die glauben, sie wüssten alles.

 

Was bedeutet für Sie Heimat?

Nach so vielen Jahren ist die Welt meine Heimat geworden. 1955 begann ich mit dem Reisen. Zum Beispiel nach Italien. Das war damals ein wunderbares Land, wenn ich an die Menschen denke. Die waren froh, dass der Krieg aus war. Sie waren voller Hoffnung, ob im Café, auf der Straße oder im Hotel. Das hat man als Gast deutlich gespürt. Und das hat sich geändert. Die Leute sind müde, ernster. Wie in Frankreich übrigens. Wenn man in ein Geschäft kommt, wird man gleich ziemlich direkt gefragt nach dem Motto: „Was möchten Sie, und zwar jetzt!“

 

Sind Sie froh, dass Sie in Ihrer Zeit Karriere machen durften? Beneiden oder bedauern Sie die jetzigen Nachwuchssänger?

Zu meiner Zeit gab es eine andere Liebe zur Musik. Heute sind Verträge und der Erfolg wichtiger als das, was die Stimme braucht. Ich habe deshalb auch Partien abgelehnt. Heute macht man auf der Bühne das, was der Markt fordert oder was der Regisseur will. Und wenn sich Erfolg einstellt, werden die jungen Sänger verrückt und wagen alles – obwohl ihnen noch die Reife fehlt. Viele Operndirektoren sind nur noch Funktionäre oder Manager, die auf den Kartenverkauf schauen. Und manchmal sehe ich Vorstellungen, die einfach peinlich sind. Dann denke ich: „Der arme Komponist, was hat man mit ihm gemacht.“ Ich weiß, dass viele Leute jetzt denken: „Ach, die alte Frau, was hat sie denn.“ (lacht) Aber meine Karriere dauert eben lang genug, damit ich solche Erfahrungen machen konnte.

 








CRESCENDO – 01/2010

CRESCENDO – 01/2010

 

 

Die letzte Diva

Montserrat Caballé feiert ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum in Deutschland. Wir trafen sie am Rande eines Konzerts und erlebten eine Frau, die einfach weiter singen möchte.

 

Von Thomas Voigt

 

Seit Dezember tourt sie wieder: Konzerte in Bremen, Bonn, Düsseldorf, Berlin, München, Köln. Montserrat Caballé feiert 50 Jahre Deutschland. Nach drei Anfängerjahren in Basel kam sie 1959 nach Bremen - und erhielt dort ihre Grundausbildung für die spätere Welt-Karriere. In Bonn stellte sie sich nun den Fragen unseres Autors.

 

crescendo: Frau Caballé, ich bewundere ihr Durchhaltevermögen.

 

Montserrat Caballé: Wieso?

crescendo: Tourneen sind anstrengend, und was Sie mit 76 noch alles schaffen, ist enorm. Was treibt sie zu solchen Leistungen an? Sie könnten doch auch ganz gemütlich zu Hause sitzen, im Kreis ihrer Familie, und das Leben genießen.

Caballé: Ja, und wenn ich nur zu Hause sitze - was soll ich dann machen? Warten, dass der liebe Gott mich holt? Nein, Singen ist für mich jedes Mal ein Fest. Auch wenn ich mich heute oft frage: Was erwarten die Zuhörer von mir, was kann ich denen geben, dass sie nicht enttäusche? Und ich bin immer wieder neu überwältigt, mit welcher Herzlichkeit und Wärme ich empfangen werde.

crescendo: Haben Sie manchmal Angst vorm Auftritt?

Caballé: Selten, und dann ist es eher eine Nervosität. Zum Glück hatte ich niemals unter diesen Panik-Attacken zu leiden, mit denen einige berühmte Sänger ihr Leben lang zu kämpfen hatten. Zum Beispiel Franco Corelli. Manchmal war das so schlimm bei ihm, dass man ihn buchstäblich auf die Bühne schieben musste. Aber dann hat er gesungen wie ein Gott.

crescendo: Ihr “Markenzeichen” ist eine phänomenale Atemkontrolle. Muss man für diese Technik besonders begabt sein oder kann die jeder lernen?

Caballé: Das kann jeder lernen, der sich die Mühe macht, konstant daran zu arbeiten. Voraussetzung ist, dass man seinen Körper genau kennt und weiß, wie er funktioniert. Man muss zum Beispiel wissen, dass Atmen beim Singen ganz anders funktioniert als beim Sport oder beim Sex. Als Baby und als Kleinkind atmet man automatisch richtig, deshalb können Kinder stundenlang sehr laut sein, ohne heiser zu werden. Sie atmen instinktiv richtig. Leider verlernen die meisten Menschen diese angeborene Fähigkeit, und der Gesangsunterricht ist nicht zuletzt dafür da, zurückzugewinnen, was man als Kind instinktiv beherrscht hat. Was man einmal automatisch konnte, muss man jetzt bewusst erlernen - und trainieren, trainieren, trainieren.

crescendo: Was sollte, neben dem Talent, Ihrer Meinung nach die Haupt-Motivation sein, um Sänger zu werden?

Caballé: Die Liebe zur Musik. Der Respekt vor dem Komponisten. Der Wunsch, etwas zum Ausdruck zu bringen, das den Zuhörer erreicht und bewegt. Und eine gesunde Selbsteinschätzung, die einem sagt: Das eine kann ich heute singen, das andere erst in zehn Jahren. Aber nicht: “Ich will berühmt werden und viel Geld verdienen”. Das kommt von selbst, wenn man Glück hat, als Resultat einer guten Leistung. Aber es darf nicht die erste Motivation sein.

crescendo: Sie singen seit 50 Jahren in Deutschland. Nach drei Anfängerjahren in Basel waren sie von 1959 bis 1962 an der Oper in Bremen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Caballé: Nur gute. Ich war in Bremen sehr glücklich, nicht nur als Sängerin, sondern auch als Mensch. Meine Familie war bei mir, und ich hatte gute Freunde. Als mein Vater während dieser Zeit sehr krank wurde, hat man ihn hervorragend versorgt. An der Oper habe ich sehr viel gelernt, von den Dirigenten George Alexander Albrecht und Heinz Wallberg, von sehr guten Korrepetitoren und Kollegen. Das war quasi die Basis für meine Opern-Karriere. In den drei Jahren davor, während meines ersten Engagements in Basel, lebte ich eher in einer Traumwelt: Eine Anfängerin im Zauberland der Oper. Zwar wurde ich sehr bald vom “Cover” in die erste Reihe katapultiert: Ich musste viele Partien von Irene Salemka übernehmen, die nach London gewechselt war, aber es erschien mir alles wie ein schöner Traum. In Bremen lernte ich, was Bühnen-Realität und Professionalität bedeuten.

crescendo: Daher auch Ihre Liebe zu Mozart und Strauss?

Caballé: Nein, die hatte ich schon während meines Studiums. Ich denke, beide Komponisten sind auch von zentraler Bedeutung für meinen Weg als Sängerin. Meine erste Strausspartie war Salome, da war ich Anfängerin in Basel und Cover für Inge Borkh. Ich habe sie sehr bewundert, war natürlich voller Komplexe. Als ich dann einspringen musste, ging zum Glück alles gut. Und damals war ich natürlich schlanker als heute. Mein Debüt in meiner Heimatstadt Barcelona war wieder eine Strauss-Oper, “Arabella”. 1959 bin ich in Wien als Elvira eingesprungen (Eberhard Wächter sang die Titelrolle). Zur Elektra ist es leider nicht mehr gekommen. Aber mein anderer großer Traum ist in Erfüllung gegangen: Isolde. Die habe ich in Barcelona neben René Kollo und Brigitte Fassbaender gesungen.

crescendo: Bei “Salome” fällt mir eine Aufführung in Barcelona ein, bei der es zum Schluss einen kleinen Unfall gab.

Caballé: Oh Gott, die Silberschüssel! Die war nicht echt, nicht stabil, sondern aus Plastik. Und dann kommt doch die Szene, wo sich Salome über die Schüssel beugt, um den Kopf des Jochanaan zu küssen. Das ist eine ganz leise Stelle, piano im Orchester. Ich stütze mich also am Rand der Schüssel ab - und es gibt einen lauten Knacks. Die Schüssel bricht entzwei, die Kopf-Attrappe wackelt, und ich muss mich natürlich furchtbar beherrschen, um nicht laut zu lachen.

crescendo: Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie vor Lachen nicht weitersingen konnten?

Caballé: Ja, bei einer “Ariadne” an der Metropolitan Opera, im Vorspiel, wenn die Primadonna sich für den Auftritt fertig macht. Ich hatte etwas auf dem Kopf, das war keine richtige Perücke, sondern so etwas Improvisiertes. Und ich stehe auf, ohne zu merken, dass meine Kollegin noch damit beschäftigt ist, meine “Haare” zu kämmen. Da stand sie nun mit dem Ding in der Hand - und wir konnten alle vor Lachen nicht weiter singen.

crescendo: Ihr Lachen bei Talkshows ist legendär. Man hat immer den Eindruck, dass Sie diese Auftritte sehr genießen.

Caballé: Das tue ich. Es gefällt mir sehr, wenn ich als Opern- und Liedersängerin ein ganz anderes Publikum erreiche - mit ein Grund, warum mir die Arbeit mit Freddy Mercury, Mario Adorf oder Vangelis so viel Freude gemacht hat. Ich finde es toll, wenn man die künstlichen Grenzen zwischen den Sparten überschreitet.

crescendo: Wie kam es überhaupt zu dem Duo Caballé-Mercury?

Caballé: Freddy war ein großer Opernfan, und er wäre am liebsten auch Opernsänger geworden. Eines Abends sang ich in London, und er kam nach der Vorstellung in meine Garderobe. Wir sprachen unter anderem über Pläne zur Olympiade in Barcelona: Man hatte mich gebeten, einen Song zur Eröffnung zu singen, etwas Populäres und Modernes. Und da meinte mein Bruder Carlos, der ja mein Manager ist: Wie wär’s, wenn ihr beide das Lied singt? Freddy hat sofort zugesagt, und so ist “Barcelona” entstanden, ein Song, der als Werbung für meine Heimatstadt um die Welt ging.

crescendo: Stimmt es, dass Sie gesagt haben: “Die Callas war eine Künstlerin. Ich bin nur eine Sängerin mit schöner Stimme”?

Caballé: Ja, das habe ich gesagt, und es stimmt ja auch. Die Callas war die Essenz des Theaters, eine Kategorie für sich. Leider habe ich sie nicht mehr live in der Oper erlebt, aber ich habe sie später, als sie nicht mehr sang, öfters in Paris besucht. Sie war immer sehr nett zu mir, auch sehr ehrlich. Als ich sie zum Beispiel fragte, ob ich das Angebot annehmen soll, die Lady Macbeth an der Mailänder Scala zu singen, meinte sie: “Du hast die großen Szenen der Lady auf Platten aufgenommen, warum willst Du das auf der Bühne singen? Deine Stimme ist schön und sanft, aber für die Lady verlangte Verdi die ‚Stimme eines Teufels’. Es wäre doch traurig, wenn Du den schönen Elfenbeinklang deiner Stimme verlierst”. Aus dem gleichen Grund hat sie mir von der Abigaille in “Nabucco” abgeraten. “Tue es nicht, wenn du weiterhin Norma singen willst!” Natürlich habe ich auf ihren Rat gehört, und vielleicht ist das mit ein Grund, warum ich heute noch singe.

crescendo: Hören Sie ab und zu Ihre Platten?

Caballé: Selten. Und wenn, dann lieber die Live-Aufnahmen. Die sind echt, ungeschönt, mit allen Stärken und Schwächen. Und man spürt diese besondere Energie, die eben nur auf der Bühne entsteht. Die Studio-Aufnahmen klingen besser - aber etwas fehlt, manchmal sogar das Wesentliche. Wie zum Beispiel bei unserer Aufnahme von “La Bohème”. Als wir zur ersten Aufnahmesitzung erschienen waren, sammelte Georg Solti unsere Klavierauszüge ein und packte sie in einen großen Karton. “Keine Sorge”, sagte er, “die kriegt ihr hinterher zurück. Hier habe ich neue, jungfräuliche Auszüge für euch. Ich möchte, dass ihr nur singt, was in den Noten steht - keine traditionellen Zutaten, kein falsches Sentiment.” Dann hat er ein Metronom aufgestellt. Und begonnen wurde mit dem letzten Akt, damit bloß keine “falschen Emotionen” aufkommen. Das Resultat: Musikalische Exaktheit, Notentreue ohne Herz. Als er uns die neuen Auszüge schenken wollte, haben wir dankend abgelehnt. “Seid Ihr denn nicht zufrieden?”, fragte er Plácido und mich. Worauf wir unisono sagten “Nein”. “Es sind sehr schöne Tempi”, fügte ich hinzu, “es klingt alles sehr gut, aber es hat kein Herz”. “Ach was‚ Herz”, erwiderte Solti, “das sind doch bloß Manierismen”.

crescendo: Singen ist Ausdruck von Lebensfreude. Wie ist das bei Profi-Sängern? Bleibt noch etwas von diesem Glücksgefühl erhalten, wenn man so lange auf der Bühne steht?

Caballé: Oh ja. Wenn Du mit Partnern wie Plácido Domingo auf der Bühne stehst oder einen tollen Dirigenten hast, dann ist es wie im siebten Himmel! Manchmal ist es eine Art Trance: Du bist total in der Musik und vergisst alles um dich herum. Das ist mir bis heute geblieben, wo ich so alt geworden bin und wo mir das Singen nicht mehr so leicht fällt. Wenn alles gut läuft, ist es immer noch wie ein schöner Traum. Auch danach. Überall wo ich hinkomme, finde ich Menschen, die mich lieben. Darunter viele junge Menschen, die mich nur von Platten gekannt und zum ersten Mal live gehört haben. Das ist wirklich ein wunderbares Gefühl, das ich nur jedem Sänger wünschen kann.

 








NWZ online – Januar 2010

NWZ online – Januar 2010

 

Mit Musik glücklich machen

 

Frage: Frau Caballé, was treibt Sie bei Minus 19 Grad nach Moskau?

Caballé: Studioaufnahmen! Es gibt hier ein großartiges Tonstudio. Ich mache Aufnahmen mit der Russischen Philharmonie, Arien. Da kommt auch etwas von Otto Nicolai vor, beste deutsche Romantik.

Frage: Das ist nicht unbedingt Ihr Repertoire, Ihnen liegen mehr die Italiener, Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi, Puccini. Sie scheinen aber immer noch sehr neugierig zu sein?

Caballé: Ich versuche gern etwas Neues. Auch Altbekanntes entstaube ich gern noch. Das erhält frisch und aufmerksam. Es ist ein Geschenk, dass ich so etwas noch machen kann.

Frage: Sie könnten sich zur Ruhe setzen. Würde die Verehrung für Sie und für Ihr Lebenswerk wirklich nachlassen? 2007 haben Sie noch den Echo-Klassik-Preis für Ihre Lebensleistung bekommen, auch als eine sehr menschliche Künstlerin. Eine riesige Auszeichnung.

Caballé: Meine aktuelle Tournee, mit der ich gerade in Chemnitz und Bonn war, gilt meinem Bühnenjubiläum. Seit 50 Jahren stehe ich auf der Bühne. Ach, genaugenommen werden es mittlerweile schon 53 Jahre. Ich habe die Musik immer geliebt und war glücklich, Menschen damit glücklich machen zu können. Das reißt man nicht einfach ab.

 

Frage: Am Anfang Ihrer Karriere hatten Sie ein Engagement in Bremen, drei Jahre von 1959 bis 1962, noch ehe Sie 1965 in New York für die Welt entdeckt wurden. So richtig glücklich waren Sie an der Weser nicht. Wie ordnen Sie diese Zeit heute ein?

Caballé: In Bremen habe ich sehr, sehr viel gelernt, konnte viele Partien einüben und probieren. Solches Rüstzeug lernt man schätzen.

Frage: Damit wurden Sie zur legitimen Nachfolgerin der Callas ernannt. Zielte das nicht an Ihrem Charakter vorbei?

Caballé: Absolut. Ich war nie eine Diva. Jeder muss seine eigene Karriere machen, nur so wird er ein eigener Charakter.

Frage: Wie halten Sie Ihre Stimme in Form? Ihr berühmtes Pianissimo, Ihr langer Atem zeichnet Sie immer noch aus.

Caballé: Man versucht viel mit Technik. Und man muss wie ein Athlet arbeiten, Gymnastik für die große Luft machen. Daher meine ich, dass meine Stimme immer noch ihre Farbe behalten hat.

Frage: Sie verfügen über ein riesiges Repertoire, 90 Opernrollen allein, Lieder, Zarzuelas, sogar Crossover. Gibt es Rollen, die Sie jetzt nicht mehr singen und darstellen würden?

Caballé: „La Traviata“, da bin ich sicher, werde ich nicht mehr machen. Doch halt, vielleicht Violettas Abschied noch.

Frage: Es gibt neue junge Sopran-Stars. Nehmen wir nur Anna Netrebko. Wie schätzen Sie diese ein?

Caballé: Offen gesagt: Ich habe viel zu wenig Zeit, um sie alle zu hören. Anna Netrebko singt aber wirklich sehr schön. Es gibt auch heute noch einen Maßstab, der über aller Gesangstechnik steht: Man muss eine Rolle leben, nicht nur singen!

Frage: Sie haben mal im Scherz gesagt: Ich würde mich nicht wundern, wenn in der Zeitung steht: „Montserrat Caballé auf der Bühne tot umgefallen. . .“.

Caballé: Ja, das war in einer lustigen Laune. Aber das geht noch gar nicht. Ich habe Verträge für die nächsten zweieinhalb Jahre. Vor Oldenburg im Mai stehen zum Beispiel noch Zürich, Bern, Berlin oder München auf dem Plan.