2001
"Ich möchte gerne für mein Publikum mehr sein als
eine Sängerin...
Sind Sie - wenn Sie
eine neue CD aufnehmen - dem Publikum gefühlsmäßig genauso nahe wie auf der
Bühne?
Das Arbeiten an einer
neuen CD von der ersten Idee bis zum Abschluß der Aufnahme - das macht mir sehr
viel Freude. Ich mache die CD für Leute, die Musik so lieben wie ich, für die
Musik ein Begleiter ist, vielleicht wenn sie aufwachen, wenn sie zur Arbeit
fahren oder wenn sie müde sind - damit sich die Seele erleichtert und erfrischt
durch den Text und die große musikalische Linie der Komponisten. Ich möchte für
meine Publikum gerne mehr sein als eine Sängerin - eine Freundin nämlich, und
zwar von Herzen. Man soll fühlen, dass die Liebe, die in dieser neuen CD ist,
die Liebe ist, die ich meinem Publikum geben möchte.
Sie haben eine große
Donizetti-Arie für eine Ihrer CD's ausgewählt...
Ja, das ist eine
lange Arie von fast 10 Minuten - wunderschön instrumentiert für das Orchester
und mit einem wichtigen Rezitativ, in dem das ganze Leiden einer verheirateten
Frau mit Kind dargestellt ist, die sich in einen anderen Mann verliebt hat, der
nun mit ihr alleine fliehen will. Es geht in dieser Arie um den inneren Kampf
zwischen Ehefrau, Mutter und "Frau". Es ist eine sehr schwer zu
singende Arie von Donizetti, weil sie alle drei bis vier Takte eine andere
Stimmung, eine andere Emotion verlangt. Das Leiden ist nicht das Leiden einer
normalen Frau. Sie ist eine Königin. Sie kann ihren Sohn nicht einfach umarmen,
denn er ist ein Prinz; und auch der Kuss, den der Geliebte am Ende empfängt,
ist eigentlich ein Verzicht, bei dem ihr Herz bricht. Diese verschiedenen
Gefühle müssen auf einer Linie gesungen werden, und diese Konzentration macht
diese Arie so speziell. Es ist ein Kampf, eigentlich zehn Mitnuten voller
Kämpfe.
Massenets "La
Vierge" ist ein Werk, das man sehr selten hören kann. Vielleicht ein paar
Worte über dieses Oratorium und die Besonderheit der Arie...
Das ist das religiöse
Oratorium "La Vierge", "Die Jungfrau". Der Geist, der die
Hauptfigur umgibt, ist wie ein Schmeicheln. Dies wird auch durch die Musik, die
musikalische Linie von Massenet, vermittelt. Man sieht plötzlich: Hier fängt
das Leben an, das jeden Menschen erwartet, wenn er große Gefühle zulässt. Und
das ist in dieser Arie drin. Es ist schade, dass sie nicht öfter gespielt wird.
"La Vierge" ist ein Werk von Massenet, das meiner Meinung nach fantastisch
ist.
Der Vatikan hat ein
sehr schönes Zeichen gesetzt, das andere Künstler vielleicht dazu bewegt, sich
ebenfalls mit dem Werk zu beschäftigen.
Der Vatikan hatte
entschieden, dass die Aufführung von "La Vierge" am 16. April in der
Kirche "Santa Maria degli Angeli" in Rom der Höhepunkt der
musikalische Osterfestspiele im Rahmen der Jubiläums-Feierlichkeiten des
Heiligen Jahres 2000 sein werde, zu denen man mich eingeladen hatte. Diese
Nachricht hatte mir sehr große Freude bereitet. Ich war sehr glücklich, dieses
reine, beseelte musikalische Werk dort singen zu dürfen.
Was hat Sie gereizt,
sich noch einmal mit der Manon zu beschäftigen?
Vom allem, weil ich
Manon nicht oft gesungen habe. Meine erste Manon war in Mexiko City vor langer Zeit
mit Guiseppe di Stefano als Des Grieux. Dann hatte ich auch die große Ehre,
Manon mit Alfredo Kraus zu singen. Ich verehre die Manon-Arie und das berühmte
Duett sehr.
Die beiden
Komponisten Leoncavallo und Mascagni werden oft in einem Atemzug genannt, weil
ihre beiden Einakter "Cavalleria rusticana" und "Der
Bajazzo" oft an einem Abend hintereinander zur Aufführung kommen. Sie
haben drei Stücke von den Komponisten ausgewählt.
"La Boheme"
wurde in Venedig uraufgeführt und ist die vierte Oper, die Leoncavallo auf die
Bühne gebracht hat. Es ist eine ganz lustige Arie, und ich habe gedacht, er
würde sich sehr freuen, wenn ich das singe, weil sie ein bisschen vergessen ist
und weil man immer bei "Boheme" nur an Puccini denkt. Von Mascagni habe
ich zwei Stücke ausgewählt. Sehr bekannt ist vor allem sein "Cavalleria
rusticana". Viele wissen nicht, dass er fast neun Jahre früher eine
"Musica Sacra" komponiert hat - mit einem "Ave Maria". Und
er hat dies, ich glaube 1898, in seine Oper "Cavalleria rusticana"
übernommen, und zwar als großes Intermezzo, ohne Worte. Das ist bei dieser
Aufnahme interessant und gut zu wissen.
Der
"Gefangenenchor" aus Verdis Nabucco ist eine
großer Klassikhit.
Ja, ich war immer wie
jeder andere Mensch verliebt in dieses berühmte "Va Pensiore", das
jeder Chor gesungen hat und das auch andere Künstler in andere Musikstile
übertragen haben. Mein Wunsche war es nicht, etwas nachzuahmen. Ich wollte es
ganz im Sinne des Komponisten singen. Ich glaube, Verdi wäre nicht böse mit
mir, denn ich liebe seine Musik so sehr.
Die Titelfigur aus
Offenbachs "La perichole" ist eine Straßensängerin.
Diese Arie singe ich
voller Ironie, mit einem Charme, der kein echter Charme ist. In Wirklichkeit
ist sie ein kleines Luder. Vor vielen, vielen Jahren habe ich das Stück in New
York mit der berühmten französischen Sängerin Regine Crespin gehört, die ich
sehr verehrt habe. Da habe ich gedacht: Ja, einmal in meinem Leben muss ich
auch diese Arie singen. Sicherlich singe ich das nicht so toll wie sie, aber
wenigstens habe ich es versucht.
Zwei Zarzulas haben
Sie ausgesucht, darunter ein Duett mit Ihrer Tochter Montserrat Marti.
"La Gran
Via" ist von zwei Komponisten, Chueca und Valverde. Dies ist eine
Geschichte von einem Dienstmädchen aus Madrid. Sie arbeitet in mehreren
Häusern, und immer wenn sie einkaufen geht, nimmt sie ein wenig Geld für sich,
um sich schöne Kleider kaufen zu können. Als einer ihrer Herren das merkt und
ein besonderes Rendezvous verlangt, sagt sie nein. Sie ist ein gutes Mädchen,
das nur ein paar schöne Kleider wollte und nicht mehr. Das ist "La Gran
Via", das war die Stimmung und Atmosphäre in Madrid Ende 19. Jahrhunderts.
Das Duett ist von Barbieri, einem ganz berühmten Zarzula-Komponisten, der mit
seinen Werken viel Erfolg gehabt hat. Er hat in seinen Kompositionen immer
brillant das Orchester eingesetzt, nicht als Begleitung und für den Rhythmus.
Es ist ein Duett von zwei Rivalinnen um die Liebe eines Grafen. Sie beschimpfen
sich von Anfang bis Ende. Ein schnelles und lustiges Duett und ganz effektiv
für beide Stimmen und das Orchester.
Die CD wurde
aufgenommen mit der Radio Philharmonie Hannover und dem spanischen Dirigenten
Miquel Ortega.
Ich habe schon vorher
mit Miquel Ortega als Konzertbegleiter gearbeitet und kenne ihn auch als
Komponisten. Jetzt haben wir zum ersten mal eine
Aufnahme zusammen gemacht und ich muss sagen, er hat diese Finesse für die
Oper, die man braucht. Ja, es ist eine fantastische Sache, einen Dirigenten zu
finden, der die Oper liebt. Und das zeigt er.
Die deutsche Operette
ist zweimal vertreten mit zwei Komponisten von Franz Lehar. Bei
"Frederike" geht es um die Liebeserklärung von Johann Wolfgang von
Goethe.
"Warum hast Du
mich wachgeküßt" - das ist wie ein Vorwurf. Aus musikalischer Sicht des
Orchesters sind es die Geigen, die "mitleiden". Auch das Fortissimo
stört nicht, es ist ein warmes Fortissimo und die Stimme von Frederikes Leid.
Ich liebe Lehar sehr, besonders das "Wie" in seiner Musik - wie er
sie "wachküsst".
Und "Der Graf
von Luxemburg"?
Ich finde die Arie
der Angele lustig und gegensätzlich zu Frederike,
kokett und gleichzeitig bestimmend. Auch wie das Orchester antwortet, hat Lehar
wunderbar komponiert.
"Das G'Schätzli"
begleitet Sie schon sehr lange auf Ihren Konzerten als kleine Zugabe. Wie ist
es dazu gekommen, dass Sie dieses Volkslied im Repertoire haben?
Vor vielen, vielen
Jahren, ich glaube es war in 1958, als ich gerade in Basel ankam, hat mich eine liebe Dame in zwei Theaterhäuser mitgenommen.
Eines war in Zürich, wo ich die Tosca mit Jussi Bjoerling und Leonard Warren
und zum ersten Mal die Birgit Nilsson gehört habe. Das andere war ein
fantastischer Liederabend von Elisabeth Schwarzkopf in Genf. Ich kam damals als
Anfängerin gerade aus Spanien, als ich die Schwarzkopf zum ersten Mal hörte.
Ich war tief beeindruckt und dachte: "Mensch, so werde ich nie singen, so
werde ich nie Karriere machen."
Danach wurde ich von
meiner Begleitung mit in die Garderobe genommen und ihr vorgestellt - als junge
spanische Sängerin, die gerade in Basel angefangen hat. Elisabeth Schwarzkopf
hat gefragt: "Welches Stück hat Dir am besten gefallen?" Ich war so
erstaunt, und es ist unglaublich, was ich dann geantwortet habe nach so einem
fantastischen Liederabend (lacht): "Dieses schweizerische Volkslied, das
Sie gesungen haben, dieses G'Schätzli hat mir gefallen,"
worauf sie lachend entgegnete: "Ach dieses G'Schätzli hat dir
gefallen". Als ich ihr sagte, dass ich die Noten gerne kaufen würde,
meinte sie: "Das wirst Du nicht finden." Dann gab sie mir das Blatt:
"Nimm es, vielleicht kannst Du es einmal gebrauchen..." Ich hatte es
immer bei mir. Erst viel, viel später habe ich angefangen es zu singen, zum ersten
Mal in New York. Die Leute haben so gelacht, dass ich dachte, es ist schief
gegangen. Aber es war ein großer Erfolg. Allmählich habe ich mehr Sicherheit
bekommen und habe es immer wieder gesungen - am Ende, als Zugabe. Ich freue
mich sehr, dass es auf der Platte ist und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil
ich dieses Schweizer Lied so sehr liebe, und zweitens ist es auch ein
Dankeschön, weil dort meine Karriere angefangen hat. Das ist meine Art, mich zu
bedanken.