Februar
1995 – OPERNWELT
Freddie Mercury, Callas und Lachkrämpfe auf der Bühne
Montserrat Caballé im
Gespräch mit Thomas Voigt
Frau Caballé, seit
Ende September sind sie auf großer Tournee im deutschsprachigen Raum: 30
Konzerte in vier Monaten, dazwischen Fernseh-Auftritte wie in Thomas
Gottschalks „Wetten, daß“ – wie wär’s überhaupt mit einer eigenen Fernseh-Show?
Ich? Wieso?
Weil sie offenbar
eine gute Entertainerin sind.
Sie meinen, ich rede
zuviel? (lacht)
Auf jeden Fall kommen
sie beim breiten Publikum an. Seit ihren TV-Auftritten werde ich immer wieder
von Leuten gefragt, die sich gar nicht für Oper interessieren: Wer ist die
Opernsängerin, die bei Gottschalk war und die dauernd gelacht hat?
Das gefällt mir, wenn
wir als Opernsänger ein ganz anderes Publikum erreichen. Das war für mich mit
die schönste Erfahrung nach dem „Barcelona“-Video mit Freddie Mercury: daß sich
ein Rockpublikum für Oper interessiert und umgekehrt. Seitdem bietet man mir im
Fernsehen immer wieder etwas an; aber dafür braucht man Zeit, das muß gut
vorbereitet sein. Mal sehen.
Wie kam es zu dem
ungewöhnlichen Duo Caballé-Mercury?
Als 1986 Barcelona
für die Olympiade1992 gewählt wurde, hat mich der Bürgermeister von Barcelona
gefragt, ob ich zur Olympiade ein Lied singe – aber etwas Populäres, Modernes,
etwas für das breite Publikum. Ein paar Monate später habe ich dann in London
gesungen, und in der Vorstellung war Freddie, der ein großer Opernfan war und
der auch am liebsten Opernsänger geworden wäre. Und da hat mein Bruder Carlos
gemeint: Wie wär’s, wenn ihr beide das Lied für die Olympiade singt? Freddie
hat sofort zugesagt, und im Juni ‚87 haben wir „Barcelona“ zum ersten Mal in
einem Konzert auf Ibiza gesungen. Das Konzert wurde vom spanischen Fernsehen
übertragen und kam sehr gut an. Später haben wir dann das Video produziert, das
als Werbung für Barcelona jahrelang um die Welt ging. Sie geben jetzt mehr Konzerte, singen viel
weniger Opern als früher.
Seit 1985, als ich
sehr krank war, mache ich nur noch zwei, drei Opernproduktionen im Jahr. Dieses
Jahr kommt „Rosmondo d’Inghilterra“ in England, die „Medea“ in Griechenland,
vielleicht noch eine Produktion in Wien; das steht noch nicht fest. Und für die
übernächste Saison ist die Marschallin an der MET geplant – 30 Jahre nach
meinem Debüt in dieser Rolle in Glyndebourne.
Sie haben schon
ziemlich früh mit Strauss begonnen.
Schon während des
Studiums. Mein tägliches Training waren Mozart und Strauss, die beiden
Lieblinge meiner Lehrerin. Ich glaube, beide Komponisten sind auch die Basis
für meine Karriere. Meine erste Strauss-Partie auf der Bühne war die Salomé, da
war ich Anfängerin in Basel und war das Cover für Inge Borkh. Sie war
phantastisch in dieser Rolle. Ich habe sie sehr bewundert und war natürlich
voller Komplexe. Aber als ich dann einspringen mußte, ging Gott sei Dank alles
gut. Mein Debüt in meiner Heimatstadt Barcelona war wieder eine Strauss-Oper,
„Arabella“. Uns als nächstes habe ich dort die Elvira gesungen. Also immer
Mozart und Strauss – auch in Wien: 1959 bin ich an der Staatsoper als Elvira
eingesprungen (der Giovanni war Eberhard Wächter, die Donna Anna Claire
Watson), und als zweite Partie in Wien kam dann wieder die Salomé – mit Hans
Hotter als Jochanaan.
In Bremen haben sie
sogar die Chrysothemis gesungen – war das nicht ein bißchen gefährlich für eine
junge Stimme?
Naja, ich glaube,
wenn man jung ist, geht vieles. Vielleicht hätte ich die Chrysothemis damals
nicht an einem großen Haus singen können, aber in Bremen fanden sie’s toll, und
für mich selbst war es auch eine große Freude. Lieselotte Thomamüller war die
Elektra.
Die Elektra wollten
sie ja auch noch –
-jaja, das ist schon
lange geplant, aber es hat noch nicht geklappt. Warum lachen sie? Ich weiß, die
Partie ist sehr schwer, aber wenn man in einem bestimmten Alter ist -, und ich
bin in diesem Alter – dann kann man es schon versuchen. (lacht) Mein Traum war
immer, die Isolde zu singen. Und das ist ja auch wahr geworden: 1989 in
Barcelona mit René Kollo und Brigitte Fassbaender. Das war eine Erfüllung. Und
eine große Herausforderung. Ab und zu liebe ich solche Herausforderungen. Und
ich muß immer wieder etwas Neues machen.
Wie wär’s mit dem
anderen Strauß, mit Operette?
Die Rosalinde in der
„Fledermaus“ habe ich schon damals in Bremen gesungen. Das war bestimmt keine
wienerische Rosalinde, aber stimmlich war es, glaube ich, ganz gut. Für meine
Konzerte bereite ich jetzt ein paar Operetten-Arien vor, das sind so richtige
kleine Schmuckstücke. Aber ich bin etwas ängstlich, daß ich es nicht ganz
richtig mache. Denn wie bei der Zarzuela muß man bei der Operette etwas mehr
bringen als nur Musik und Stimme. Das gewisse Etwas muß man haben. Ich werde
mir die Operetten-Aufnahmen von großen Sängerinnen anhören, zum Beispiel
Rothenberger und Schwarzkopf.
Von welchen
Fach-Kolleginnen (um nicht zu sagen: Konkurentinnen) waren und sind sie am
meisten beeindruckt?
Jede große Sängerin
hat eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Interpretation. Und ist es nicht
schön, wenn man sagen kann: Ich höre ein Stück gern von verschiedenen
Interpreten? Wenn man ein Stück wirklich liebt, dann liebt man auch ganz
verschiedene Arten von Interpretation. Als Studentin am Konservatorium war
Victoria de los Angeles mein großes Vorbild. Diese Linie, diese sanfte
Stimme…Später habe ich mich in den Klang der Tebaldi verliebt. Sie hat oft in
Barcelona gastiert, und ich habe sie als Traviata gehört, als Manon Lescaut,
Aida und Butterfly. Das war eine echte Spinto-Stimme, wie es sie heute fast
nicht mehr gibt. Als Traviata war sie genau das, was Verdi wollte: ein echter
Spinto mit Agilität. Ich weiß noch, als ich meine erste Traviata gesungen habe,
hat der Dirigent Gianandrea Gavazzeni gesagt, ich sei für diese Partie etwas zu
lyrisch. Er war eben Stimmen wie Tebaldi gewohnt.
Und später habe ich
mich in die Stimme von Maria Callas verliebt.
Sind sie der Callas auch begegnet?
Öfters, ja. Ich habe
sie manchmal auch um Rat gefragt, und sie war immer sehr nett zu mir, auch sehr
ehrlich. Vor vielen Jahren sollte ich an der Scala die Lady Macbeth singen,
neben Piero Cappuccilli in der Titelpartie. Und ich habe damals die Callas
angerufen und gefragt, ob ich es machen soll. Ich hatte gerade die Arien für
ein Recital aufgenommen. Und die Callas sagte: „Schön, daß sie die Arien
aufgenommen haben – und nun vergessen sie das Ganze. Ihre Stimme ist schön und
sanft, und für die Lady Macbeth braucht man eine durchdringende, schneidende
Stimme. Es wäre zu traurig, wenn sie ihre Stimme mit dieser Partie ruinieren –
also lassen sie es.“ Und natürlich habe ich ihren Rat befolgt.
Stimmt es, daß sie
gesagt haben: „Die Callas war eine Künstlerin; ich bin nur eine Sängerin mit
schöner Stimme“?
Sicher, das habe ich
so gesagt – und das stimmt ja auch. Ich habe eine Stimme, und ich kann singen,
weil ich eine gute Technik habe – und ich versuche den Komponisten, die ich
singe, gerecht zu werden. Aber so, wie die Callas war – das ist eben eine
andere Dimension. Sie war die Essenz des Theaters.
Ich habe auch immer
gesagt, daß ich als Darstellerin auf der Bühne nichts Besonderes bin.
Natürlich, wenn es wirklich darauf ankommt – etwa in der großen
Auseinandersetzung zwischen Maria Stuarda und Elisabetta -, dann muß man auch
schauspielerisch etwas bieten, damit die Figur glaubhaft wird. Doch prinzipiell
stelle ich eine Figur mit stimmlichen Mitteln dar. Meistens braucht es nicht
viel körperliche Aktion, um das Publikum zu überzeugen; es ist alles im Klang
der Stimme.
Ein weiteres
Caballé-Statement besagt, daß sie ohne ihren Bruder Carlos nicht diese Karriere
gemacht hätten.
Natürlich nicht, denn
als mein Agent hat Carlos alles Geschäftliche geregelt. Außerdem hat er mich zu
den Belcato-Partien gebracht, was ja der Start für meine internationale
Karriere war. Ich habe damals mit Maestro Cillario die Manon Lescaut in Barcelona
gesungen, und mein Bruder und Cillario haben mich schließlich davon überzeugt,
daß ich auch Bellini und Donizetti singen kann. Ich weiß noch, wie Cillario
gesagt hat: „Du kannst doch Fiordiligis ‚Come scoglie’? Mit derselben Agilität
singst du auch Donizetti und Bellini.“ Kurze Zeit später kam dann das erste
Angebot für eine Belcanto-Partie – wieder ein Einspringen, diesmal für Marilyn
Horne, die schwanger war. Das war mein Debüt an der Carnegie Hall mit „Lucrezia
Borgia“. Und plötzlich haben alle behauptet, ich sei eine
Belcanto-Spezialistin. (lacht)
Daß sie jetzt weniger
Oper singen – hat das vielleicht auch damit zu tun, daß sie nicht so gern
proben? Es heißt, die Caballé drückt sich manchmal vor langen Probenzeiten.
Das ist ein Gerücht.
Ich habe immer viele Proben gehabt, und bei Neuproduktionen habe ich meistens
einen Monat lang probiert. Natürlich, wenn ich in eine laufende Produktion
einspringe, bei der ich nicht von Anfang an dabei war, dann ist das etwas
anderes; wenn es eine Rolle ist, die ich hundertmal gesungen habe, muß ich
nicht 20 tage probieren, das schaffe ich in einer Woche.
Bei der „Salomé“ in
Barcelona standen sie oben auf der Plattform, während ihre Partie unten von
einer Tänzerin dargestellt wurde.
Aber den Schlußgesang
habe ich gespielt!
Mit einem kleinen
Unfall.
O Gott, die
Silberschüssel. Die war nicht echt, nicht stabil, sondern aus Plastik. Und wie
ich versuche, den Kopf von Jochanaan zu küssen, stützte ich mich am Rand ab –
und die Schüssel kracht unter mir zusammen, der abgeschlagene Kopf schaukelt
hin und her. Das war furchtbar. Furchtbar komisch!
Ist es ihnen nicht
mal passiert, daß sie auf der Bühne so lachen mußten, daß sie nicht
weiterkonnten?
Ja, bei der „Ariadne“
an der MET, im Vorspiel. Die Perücke war keine richtige Perücke, sondern so
etwas Improvisiertes, wie ein Hut. Und ich habe meinen Text vergessen und habe stattdessen
etwas gedichtet und zu der Zerbinetta gesagt: „Komm, frisiere mich doch ein
bißchen.“ Sie hat sehr schnell reagiert und hat mir die Perücke gekämmt. Dann
kam der Einsatz, wo ich aufstehen mußte, und ich habe nicht gemerkt, daß die
Zerbinetta immer noch mit ihren Händen in meiner Perücke ist. Ich stehe also auf
– und sie steht da mit meiner Perücke in der hand! Das war das Ende, wir
konnten alle nicht weitersingen.
Was passiert, wenn
sie mit einem Regisseur überhaupt nicht zurechtkommen?
Ich versuche erst
einmal, ihn zu verstehen. Denn ich gehe davon aus, daß alles, was er will,
einen Sinn hat. Auch wenn ich selbst die eine oder andere Idee total daneben
finde – so versuche ich doch zu erfahren, was er sich dabei gedacht hat. Es
gibt tausendundeine Möglichkeit, ein Stück zu inszenieren. Jeder hat seine
eigene Konzeption, und von jeder Produktion, auch von den schlechten, kann man
etwas lernen. Ich finde, man sollte immer offen für neue Gedanken sein. Leben
heißt: Jeden Tag etwas Neues lernen. Das ist produktiv.
Und wenn es absolut
nicht anders geht, muß man sich trennen. Es gibt in unserem Beruf nichts
Schlimmeres, als unglücklich auf der Bühne zu sein.
Aber es gab und gibt
doch sicher Situationen, wo sie auch die Primadonna herauslassen?
Nur auf der Bühne! Im
täglichen Leben sind wir Arbeiter – Menschen, die das große Glück haben, mit
ihrer Arbeit sich selbst und anderen Freude zu machen. Es hat keinen Sinn,
außerhalb der Bühne die Primadonna zu spielen. Und ich versuche, wo es geht, Krach
zu vermeiden. Jeder Streit ist Zeitverschwendung. Wir haben in uns zwei Seiten:
die positive und die negative. Und ich finde, wir sollen positiv denken. Wenn
du krank bist, mußt du positiv denken, sonst wirst du nicht gesund. Wenn du nur
ans Kämpfen denkst, nur aggressiv bist, dann wirst du eines Tages davon
aufgefressen – die Aggressivität kommt zurück wie ein Bumerang. Und genauso
geht es umgekehrt: Man merkt sofort, wenn von Musik oder von der Bühne etwas
Positives ausgeht; es kommt sofort zurück. Jedes Stück, ob heiter oder
tragisch, sollte diese befreiende Wirkung haben – Befreiung von Stress, von
Angst. Das ist unsere Aufgabe: Den Menschen etwas bieten, was Frieden in ihre
Seele bringt. Aber das betrifft nicht nur uns Sänger; wir alle müssen uns
bemühen, etwas Positives in diese Welt zu bringen. Sonst wird sie noch brutaler
und aggressiver. Und das darf nicht sein.